Was ist falsch an der Ethologie
aus Sicht einer antibiologistischen Tiersoziologie

Kritikpunkte: Tiersoziologische Kritik an ethologischem Speziesismus und ethologischer Tierobjektifizierung

1. Biologischer Reduktionismus
Die Ethologie geht davon aus, dass das Leben der Tiere hauptsächlich durch biologische, evolutionäre oder adaptive Mechanismen erklärt werden kann.
→ Dadurch werden Wesen mit subjektiver, kultureller oder intersubjektiver Existenz auf mechanistische, ausschließlich vorbestimmte Systeme reduziert. Die eigenen sozialen, „symbolischen”, moralischen und narrativen Dimensionen der Existenz von Tieren werden dabei ausgelöscht.

2. Objektivierung und disziplinäre Grenzziehung
Tiere werden eher als Beobachtungsobjekte denn als Teil einer gemeinsamen sozialen Welt behandelt.
→ Die Ethologie übernimmt die von Noske beschriebene disziplinäre Trennung: Menschen gehören zu den Sozialwissenschaften, Tiere zur Biologie.
→ Diese künstliche Trennung spricht Tieren Sozialität, Kultur und eigenständiges Handeln ab. Sie legitimiert auch die methodische Distanz, die Tiere in den sie anbetreffenden wissenschaftlichen Untersuchungen „stumm“ hält.

3. Der anthropozentrische Maßstab
Menschliche Kategorien (Sprache, Vernunft, Moral, Selbstbewusstsein) werden als Maßstab für die Interpretation nichtmenschlicher Wesen herangezogen.
→ Was nicht der menschlichen Form entspricht, wird als primitiv oder nicht existent abgetan.
→ Dabei sind Fähigkeiten wie Sprache oder Vernunft durchaus relevant – in ihren eigenständigen, pluralistischen und nicht-hierarchischen Ausprägungen.
→ Die Ethologie versäumt es, nichtmenschlichen Ausdrucksformen und Sinnstiftungen die gleiche epistemische Legitimität zuzugestehen.

4. Die Ideologie des „Instinkts“
Der Begriff „Instinkt“ fungiert als konzeptioneller Abschluss: eine Möglichkeit, etwas zu benennen, aber nicht zu verstehen.
→ Indem komplexe Kommunikation oder soziales Verhalten als „instinktiv“ bezeichnet wird, kann die Wissenschaft aufhören, nach Bedeutung, Absicht, Emotion oder Individualität zu fragen.
→ Dies erhält einen falschen Gegensatz zwischen „rationalen Menschen“ und „[in determinierter, ‚automatischer‘ Weise handelnden] Tieren“ aufrecht, da es an post-anthropogenen Räumen mangelt, die Teil eines gemeinsamen, kommunizierbaren Wissens sein könnten.

5. Selektiver Vergleich und kognitive Dissonanz
Menschliche Beobachter akzeptieren Ähnlichkeiten mit Tieren nur dann, wenn es ihnen gelegen kommt (z. B. wenn es unterhaltsam ist oder die evolutionäre Kontinuität bestätigt), lehnen sie jedoch ab, wenn sie ethisch ungelegen sind (z. B. wenn sie autonome Rechte, Einzigartigkeit, Freiheit, Autonomie, das Recht, nicht der Instrumentalisierung und Zerstörung durch den Menschen ausgesetzt zu sein, moralische Handlungsfähigkeit, Moral als sozial vernünftige Verpflichtung, Sinn, Bedeutung, Vollständigkeit usw. implizieren).
→ Die Ethologie praktiziert somit selektiven Anthropomorphismus – einen, der Herrschaft reproduziert, anstatt sie in Frage zu stellen.

Um diesen Punkt zu ergänzen und unseren Standpunkt in der Hinsicht klarer zu machen, werden wir später nochmal Sichtweisen zu Moral und plural tierlicher Besonderheit verfassen.

6. Isolation und ethische Marginalisierung
Tierstudien, einschließlich der Ethologie, bleiben ethisch isoliert: beschreibend und unpolitisch, wenn es um emanzipatorische Bestrebungen zugunsten der Tierrechtsethik geht.
→ Ethische Implikationen werden als externe „Nachgedanken” behandelt und mit dem Diskurs über die Nutzung der Natur als Ressource für menschliche Interessen verknüpft.
→ Diese Isolation lässt die Ethologie neutral erscheinen, während ihre Erkenntnisse kontinuierlich strategisch genutzt werden (für Wildtiermanagement, Tierhaltung, den Aufbau kognitiver Hierarchien, politische Stagnation usw.).
→ Ethische Relevanz wird zugunsten technischer Beschreibungen herabgestuft.

7. Verschachtelter Speziesismus
Die Ethologie beteiligt sich an dem, was wir als verschachtelten Speziesismus bezeichnen: die verschachtelte Reproduktion anthropozentrischer Hierarchien in Wissenschaft, Kultur und Politik.
→ Speziesismus und Wissen, das aus der Objektifizierung von Tieren abgeleitet wird, sind keine zufällige Verzerrung, sondern strukturell eingebettet in die Art und Weise, wie Fragen gestellt werden, welche Verhaltensweisen als bedeutungsvoll angesehen werden und welche Spezies [die eben nicht unter primär anderer Fragestellung als Tiergruppen und Tierindividuen betrachtet werden] mit fester zielsetzender Fragestellung und mit welcher Zielsetzung [sei es eben deren schematische Katalogisierung] überhaupt untersucht werden und auf welche unmittelbare Weise sie untersucht werden.

8. Angst vor Anthropomorphismus als Zensur
Noske merkt an, dass Wissenschaftler sich davor hüten, Tieren Subjektivität zuzuschreiben, um nicht des Anthropomorphismus bezichtigt zu werden.
→ Diese Angst wirkt wie ein disziplinärer Kontrollmechanismus, der Empathie, relationale Beobachtung, Subjektivismus auf Augenhöhe und alternative Erkenntnistheorien einschränkt.
→ Das Ergebnis: Tiere werden fortwährend anhand von Rahmenwerken untersucht, die ihre Subjektivität bewusst ausschließen.

9. Epistemische Arroganz / Mangel an Demut
Die Ethologie geht oft davon aus, dass sie die Kommunikation von Tieren mit menschlichen Begriffswerkzeugen übersetzen oder entschlüsseln kann.
→ Wie wir jedoch in einer fragmentarischen Annäherung als unsere Thoughts about the languages of animals (Edition Farangis: Animal Autonomy E-Reader, Jahrgang 5 (2024), Nr. 2, S. 6., https://d-nb.info/1341108945/34 , [09.06.25]) beschreiben, sind tierliche Ausdrucksformen womöglich innerhalb der semiotischen Grenzen des Menschen nicht übersetzbar – und genau darin liegt ein Teil ihres Wertes.
→ Ein gerechter Ansatz erfordert epistemische Demut: die Erkenntnis, dass menschliches Wissen unvollständig ist und dass Unterschiedlichkeit nicht gleichbedeutend mit Unvermögen ist.

10. Verlust von Kontext und Relationalität
Durch die Abstraktion von Verhalten aus dem gelebten Kontext (kontrollierte Beobachtung, Labor oder statistische Verallgemeinerung) löscht die Ethologie relationale Bedeutung aus. Insbesondere lässt sie die Sichtweise der Tiere auf die Menschheit als einen konstanten Faktor außer Acht.
→ Die Kommunikation und Interaktion der Tiere wird ihrer persönlichen, historischen oder kulturellen Besonderheiten beraubt.
→ Dies spiegelt wider, wie Menschen die Sozialgeschichten derer auslöschen, die sie dominieren – eine methodologische Fortsetzung der Objektivierung.

11. Leugnung der Kontinuität im Sozialen und Kulturellen
Selbst wenn die Ethologie biologische Kontinuitäten (genetische, anatomische) zugesteht, leugnet sie in der Regel soziale oder kulturelle Kontinuitäten und andererseits die Unabhängigkeit der Animalität mit allem, was dies mit beinhaltet.
→ Diese selektive Kontinuität hält den Mythos der menschlichen Ausnahmestellung aufrecht: Nur Menschen haben „wahre Bedeutung”, sind Selbstzweck, sodass sie in ihrem Zustand der angeborenen Freiheit nicht unterworfen werden können.
→ Eine antibiologistische Sichtweise argumentiert hingegen, dass soziale und kulturelle Kontinuität ebenso real ist wie die Fähigkeit zu inhärenter Freiheit und Sinnhaftigkeit – pluralistisch und heterogen.

12. Instrumentelle Funktion der „neutralen“ Wissenschaft
Die Ethologie beansprucht oft Objektivität und Neutralität, während ihre Daten direkt in Kontrollsysteme einfließen (Zoologische Gärten, Laborforschung, Verhaltenskonditionierung, Wildtierpolitik).
→ „Neutrale“ Beobachtung hat somit materielle Konsequenzen – sie legitimiert Herrschaft.
→ Der Anspruch auf Neutralität wird zu einem ideologischen Schutzschild.

13. Leugnung der strukturellen Ursachen von Speziesismus und Tierobjektifizierung
Indem die Ethologie die Hierarchie der verschiedenen Tierarten als „natürlich“ darstellt, verschleiert sie deren geschichtliche und kulturelle Wurzeln.
→ Sie leugnet, dass Speziesismus und die Entscheidung, Tiere objektivierend zu betrachten, von menschlichen Kulturen, einzeln oder als Institutionen, und Weltanschauungen hervorgebracht werden und nicht von „der Natur“.
→ Die Weigerung, ihre eigenen Grundlagen zu erkennen, reproduziert genau die Hierarchien, die sie beobachtet.
Da die Ethologie selbst sich aber in einem bewusst begrenzendem Rahmen verortet, sie damit gezielt Kontexte ausspart, die philosophisch relevante Fragestellungen in ihren Ansatz mit einbeziehen würden, bleibt eine entgeschichtlichte und nicht-kulturelle Betrachtungsweise, die hier den Blickpunkt bildet, schlüssig, und gestaltet eine Vorgabe in der Annäherung an erkenntnistheoretische Fragen. Geschichte wird als Evolution festgeschrieben, mit der behauptenden Annahme, dass die entscheidenden Inhalte tierlicher Geschichte in solch groben, stark schematischen Eckpunkten gefasst werden könnten.

15. Fehlender Dialog mit Tieren auf ihrer eigenen Ebene
Der vielleicht grundlegendste Fehler: Die Ethologie tritt nicht in einen Dialog mit Tieren.
→ Sie misst, hört aber nicht zu, da es ihr an der Bereitschaft mangelt, einen emanzipatorischen, inklusiven Ansatz als bilateralen Prozess zu verfolgen, der auf Parität abzielt.
→ Tierliche Ausdrucksformen werden gesammelt und als Datenpunkte beschrieben, nicht als eindeutige Referenz zu sprechenden, vollständigen, hyperkomplexen Stimmen. Dies dient eher dem speziesistischen Status quo als dem Streben nach Fortschritt aus epistemologischer Sicht.
→ Eine antibiologistische Tiersoziologie fordert konzeptionelle Rahmenwerke, die die Kommunikation von Tieren als bedeutungsvolle Akte der Weltgestaltung betrachten – nicht als „Signale” in einer Gleichung. Und gelangt zu dem Schluss, dass unser mangelndes Verständnis unsere Unzugänglichkeit gegenüber der höheren Komplexität von Kommunikationssystemen oder -praktiken widerspiegelt.

Unsere zusammenfassende Schlussfolgerung

Die Ethologie, wie sie üblicherweise praktiziert wird, bleibt eine Epistemologie der Distanz. Sie übersetzt Lebewesen in Daten und verweigert ihnen ihre weltgestaltende Autonomie. Ihr Biologismus verwandelt Existenz in Funktion; ihre Angst vor Anthropomorphismus verwandelt Empathie in Irrtum; ihr struktureller Speziesismus und ihre Objektivierung von Tieren verwandeln Herrschaft in Objektivität. Eine antibiologistische Tiersoziologie lehnt diese willkürliche Begrenztheit ab. Sie versucht, Tiere als soziale, ethische, kommunikative und kulturelle sowie sozial-moralische Subjekte zu verstehen, deren Welten und Dimensionalitäten nicht gesondert von ihren Kontexten mit der gesamten natürlichen Welt zu betrachten sind – in der sie „sapiente“ Spezies sind. Und diese Erkenntnis ist nicht widerzuspiegeln, ohne, dass man mit dem Speziesismus und der Objektifizierungsweise der Ethologie bricht.

 

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