(Die Reformbewegung Teils verboten, teils Buhmann in ihrer Zuordnung. Die Familie meines Lieblingsarztes war stark in den Anfängen der Bewegung engagiert. Mein Arzt erzählte mir spannendes über die Geschichte. Der Vegetarismus wurde zum kulturellen Berührungspunkt für manche.)

Bildbeschreibung, übernommen: Der Deutsche Verein für Gesundheitspflege folgte Ideen der Lebensreform aus religiöser (adventistischer) Motivation.

„Sozialer“ Humor und die Negierung von Tierrechten und der Verteidigung von Tierrechten. Revised 02.02.23.

Ästhetik zum Zersetzen

Tschördy Palang LY / Gita Marta Yegane Arani (Frankfurt am Main, 1999)

Ein Witz in dem ein amerikanischer Farmer sagt: Wissen Sie wie sich ein Truthahnhals anfühlt? Das Publikum lacht. Aber wenn eine Diskriminierbarkeit in Hinsicht auf ein anderes-als-menschliches Tier [1] funktioniert, warum funktioniert dann nicht, dem gegenüberstehend, auch gleichermaßen die moralische Berücksichtigung eines Tieres, wie das die Tierrechtsphilosophie vorschlägt?

Wenn ein Tier Objekt eines Witzes sein kann, indem man das Tier im Witz – in seiner Opferposition – quasi-personifiziert, worauf begründet sich dann die gängige Verneinung der anderen Zusammenhänge zwischen dem > Selbstbegriff als Menschen > und seiner Haltung gegenüber anderen-als-menschlichen Tieren?

Das heißt, wer gibt zu, dass er bzw. sie eine Einstellung gegenüber einem Tier und Tieren generell hat, und dass sich diese Einstellung relativ zur Realität verhalten muss. Warum soll die Frage nach dem ‚Tierhass’ nicht gestellt werden?

Die Individualität (das heißt das Individuum-Sein) eines Tieres stellt die eigene Person, die sich primär in ihrer Spezieszugehörigkeit – als Mensch – wahrnimmt, in ein anderes Licht. Das Menschsein steht zur Frage, einfach weil ein anderes Tier einen anderen Weg geht und anders lebt, seit langem. Die Verschiedenartigkeit von Tieren wurde letztendlich seit dem Beginn der hegemonial-homozentrisch orientierten Eigendefinierung des Menschen, zur arbiträren Legitimierung herangezogen, um als ausreichende Berechtigung zu dienen, Tiere dem Menschen, in der menschlichen Bewertung von Lebensrecht, zu unterwerfen.

Eine ethische und eine unethische Lebenspraxis

In den Anfängen der westlichen vegetarischen Bewegung bildeten moralische Fragen und nicht allein gesundheitliche den hauptsächlichen Ausgangspunkt für die Veränderung in der Lebensweise. Der ethische Background hinter der Zuwendung zu einer sensibilisierten Lebensweise in Hinsicht auf ‚die Mitwelt‘ spielte eine Rolle bei engagierten Persönlichkeiten wie William Blake, Leo Tolstoy und George Bernard Shaw. Reell schufen die Gründe des Warum, und nicht der alleinige Selbstzweck, schließlich auch die Motivation zum Vegetarismus.

Shaw schreibt in seinem Intelligent Woman’s Guide über religiösen Glauben und Vegetarismus:

„Wenn eine Kirche, die sagt dass Tiere anders als Menschen sind – dadurch dass sie keine Seele hätten und für den Gebrauch der Menschen geschaffen seien und nicht wegen ihrer Selbst – lehrte, dass Tiere keine Rechte und Männer und Frauen ihnen gegenüber keine Pflichten haben, dann würden deren Lehren darüber aus den Schulen ausgeschlossen werden und die Mitglieder dieser Kirche würden von den säkularen Behörden wegen Grausamkeit gegenüber Tieren belangt werden.

Wenn eine andere Kirche ein Schlachthaus bauen will, in dem Tiere in einer vergleichsweise  noch  grausameren  Art  getötet  werden  sollen  als  von  einem

‚humanen’ Schlachter in dem städtischen Schlachthaus, würde man ihr das nicht erlauben und es würde auch nicht erlaubt werden, dass die Art der Einstellung den Kindern weitergeben werden dürfte, außer, die Gruppe verfügt über so viel Wählerstimmen, dass sie die Stadtgemeinde dadurch weitestgehendst kontrolliert; und wenn sich ihre Mitglieder verweigern ‚human’ geschlachtetes Fleisch zu essen, dann müssten sie wie ich, den Schritt nach vorn zum Vegetarismus machen.“ [2]

Der europäische Vegetarismus fand als Bewegung 1809 seinen Ausgangspunkt in der Bible Christian Church, einer englischen Sekte, deren Mitglieder Ende des 19. Jahrhunderts den Vegetarismus auch nach Pennsylvania, USA, exportierten, als sie dort im Staate Philadelphia eine entsprechende Gruppe gründeten. Es gab seit jeher und es gibt immernoch verschiedene christliche Sekten die den Vegetarismus oder Veganismus praktizieren [3], wie die Order of the Cross, die Sieben Tage Adventisten und einige katholische Orden, z.B. die Trappisten. Aber von der Bible Christian Church zweigte sich dann letztendlich die erste säkulare Organisation ab. So wurde die erste europäische säkulare vegetarische Organisation 1847 in Manchester gegründet, größtenteils von Mitgliedern der Bible Christian Church, und nannte sich Vegetarian Society. Die Vegan Society, die der Vegetarian Society entwuchs, wurde im Jahr 1944 gegründet. [4]

Die Encyclopaedia Britannica in ihrer Auflage von 1964 zu Vegetarismus:

„[…] Die frühen Pioniere des Vegetarismus gründeten ihre Lebensweise auf ethischen Prinzipien. Zunehmende unterstützende medizinische und wissenschaftliche Daten im Zusammenhang mit Ernährung, Metabolismus, Vitaminen, usw. tendierten dazu den Schwerpunkt auf eine Verbesserung und Förderung der Gesundheit zu verlagern […].

Die zentrale Argumentation zugunsten des Vegetarismus ist: 1. Ethisch. – Die  Auffassung des Lebens als etwas Heiligem; nicht gezwungenermaßen im religiösen Sinne, aber, dass alle lebenden Kreaturen das Recht haben ohne Ausbeutung, einer Zufügung unnötigen Leids oder Verursachung von Ängsten zu leben. Wenn akzeptiert wird, dass die Bedeutung menschlichen Lebens deren geistige Entwicklung ist, dann sollte das für alle lebenden Kreaturen gültig sein, und ihre Lebensspanne dürfe nicht vorsätzlich verkürzt werden.“ [5]

Die Pfeiler des vegetarischen Gedankens waren gesellschaftliche- und soziale Fragen, Fragen über Ästhetik, gesundheitliche-, Umwelt-, ökonomische- und Welthungerfragen. Die Antwort auf diese Fragen war die ethische gesonnene Annäherung an das Tierreich und eine sich daraus letztendlich ergebende Abwendung von dem alten (hegemonial-) homozentrischen Entwurf des Humanismus. Der moralische Gedanke war der wesentliche Impuls der ersten vegetarischen Querhandelnden.

Die andere Lebensweise – die andere Ernährungsweise. Dass eine Lebensweise, eine Ernährungsweise, eine ästhetische Gesinnung mitbeinhaltet, ist klar. In bezug auf Ernährung und unser täglich ‚food’: wenn man in z.B. bei Google: ethnology food aesthetics als Suchbegriffe eingibt, so stößt man in Hinsicht auf ästhetische Gesinnungen die Ausdruck im Essverhalten einer Gesellschaft finden auf zahlreiche verschiedene Beobachtungen aus der Ethnologie in denen das Thema besprochen wird.

Noch einmal die Encyclopaedia Britannica von 1964:

„[Punkt] 3. Ästhetisch. – Der Vorgang des Schlachtens und Fleischessens über den Prozess des Zerlegens wird als empörend und barbarisch empfunden. Der Verzehr von Fleisch verursacht, dass Menschen entwürdigendem Gewerbe in den Schlachthäusern und Metzgereien nachgehen müssen, denn das Töten von Tieren und der Handel mit Fleisch kann nur Gefühllosigkeit und Respektlosigkeit gegen- über dem Leben hervorbringen. [6]

Wissen Sie wie sich Ihr Nacken anfühlt?

Wenige Menschen wollen sich damit auseinandersetzen, verstehen zu lernen wie sich die Diskriminierung gegen Tiere anfühlen muss, aus Sicht des durch die Diskriminierung betroffenen nichtmenschlichen Tierindividuums. Dank der Erscheinung des Begriffes „Animal Rights“ ist der Begriff ‚Tier‘ heute inzwischen vollständig dual ausgeprägt, statt nur als ein Allround-Abwerter einsetzbar zu sein; auch wenn diese Entwicklung nicht ihren Niederschlag an der Oberfläche der Kulturästhetik eines Mainstreamverständnisses findet, das sich seine Aufgabe in der zwanghaften Perpetuierung menschlicher Selbstverherrlichung gesetzt hat, so finden wir den Gedanken des tieferen Sich-Einlassens auf Tierrechtsfragen aber doch im allgemeinen demokratischen Gesamtbild der westlichen- sowie der internationalen Gegenwart, welche den für viele so kontroversen Begriff der > Tierrechte in konkreter Weise als einen neuartig wirksamen politisch-moralischen Gedanken selbst hervorgebracht hat.

Ich möchte auf die Frage der Ästhetisierung des Destruktivitätsverhaltens gegenüber nichtmenschlichen Tieren (Speziesismus, Tierobjektifizierung und Tierhass) und ihren VerteidigerInnen aufmerksam machen: nicht nur auf die argumentatorische Ästhetisierung dessen, keine plausible Antwort geben zu können auf das Fehlen einer Kohärenz zwischen ethischen Grundbegriffen und der vorherrschenden menschlichen Einstellung nichtmenschlichen Tieren gegenüber, sondern auch auf die Ästhetisierung des ablehnenden Verhaltens gegenüber Tierrechten, mittels eines sozialen Humors, der die Einklagbarkeit der grundlegenden Rechte eines nichtmenschlichen Tierindividuums ad absurdum zu relativieren versucht.

Mein Gedanke zur Äesthetisierung der Lächerlichmachung durch die Negation des anderen

Ich gehe davon aus, dass Humor bei einer Person an gedankliche Ästhetisierungsprozesse gekoppelt sein kann, da Humor einen affirmativen, rückbestätigenden Effekt auf die erfahrende, erlebende Instanz hat, und somit mit in den Komplex der Selbstwahrnehmung hineinfällt, wo die Bewertung des Selbst im Vergleich zum Anderen stattfinden kann.

Die Ästhetik spielt hier in dem Moment eine instrumentalisierende Rolle (in dem Fall in diskriminierender Weise) wenn der bewusste oder unbewusste Vergleich zum Betrachtungsobjekt gezogen wird. Der Vergleich beinhaltet den Prozess der Bewertung. Die Bewertung kann zur Begründung und Legitimierung einer Handlungsweise eingesetzt werden.

Das heißt aber auch, wenn die Bewertung (die im Vergleich mit dem Objekt der Betrachtung stattfindet) anhand fundamental arbiträrer Kriterien vorgenommen wurde, ist die Begründung für eine Handlungsweise eigentlich eine Scheinbegründung.

Während ein Vergleich hier über die ästhetische Ebene vollzogen wird, kann bewusst eine Absicherung einer Scheinlegitimierung für eine Handlungsweise vollzogen werden: Weil B so ist, darf A so sein.

Unterminierung mittels Ästhetik

In dem Kontext des Faktors einer Eigenbewertung, in Messung zur immernoch auch eigenen Bewertung des anderen, gehe ich nun weitergehend davon aus, dass ein arbiträres Bewertungskriterium durch den Willen zur Eigenbegünstigung motiviert sein kann.

Über Eigenbegünstigungen per Verschönerung eines Sachverhalts zugunsten des Betrachtenden, kann eine Ästhetik ableitbar gemacht werden, die das Wertgeflecht eines Betrachtet-Werdenden (in diesem Fall eines Tieres oder eines anderen Menschen, der als Objekt der Betrachtung zur Fragen stehen kann) in seiner allgemeinen wertgerechten Bedeutung ersetzen soll.

Dieser aus der Eigenbegünstigung abgeleitete, in dem hier besprochenen Fall ästhetische Wert oder „Ersatzwert“, wird dann auch nach außen hin im Weiteren allem sich außerhalb von einem Selbst befindenden als Wert gegenübergesetzt (psychologisch häufig Diskriminierungsmoment).

Der Einsatz der Ästhetik in dieser Form fällt in den Bereich des Selbstbegriffs, mehr wohl allerdings nicht.

Ästhetischer als was?

Man kann sich fragen, wie die Ästhetik einer modernen liberalen demokratischen Gesellschaft eine Micky Maus als einen Sympathieträger hervorbringen konnte und wo die tatsächliche Schnittstelle des Micky-Maus-Seins zum echten Maussein verläuft. Die Konsequenzen aus so einer Art der sich weitläufig ergebenden Stellvertreter-Popularität, sind allerdings sicher kaum welche: Knuddeltiere werden geliebt und die Echten getötet. Trotzdem aber hätte der Schöpfer des Begriffs des Tier-Maschine-Modells: Descartes, seine abwertende Erklärung über Tierliebe, als eine kindlich naive Sentimentalität, angesichts einer solchen heutig bestehenden ästhetischen Gewichtigkeit von Comictieren aufweichen müssen, da Infantilismus allein keine Erklärung für die Faszination bietet, die in der Verniedlichung von Tieren liegt. Und Tierhass kann auch keine bloße Abwehr gegen die indirekten Verursacher eines vermeintlichen Infantilismus sein.

Es scheint als hat aber, trotz einer wenn-auch-nur-phänomenologisch- erklärbaren auftretenden stärkeren Positiv-Einbindung von Tierbildern in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, der Gedanke an die tatsächliche ethische Annäherung an die Wesen, die hinter tierlichen Positivbildern stecken, eine Spur per Eigenlogik hinterlassen.

Doch ethisch ist alles normal: Moralisches sich ausreden wollen oder wie durch Humor in Hinsicht auf Tiere Gewalt ästhetisiert wird um vor einem moralischen Dilemma zu fliehen. Das moralische Dilemma ist von der Gesellschaft als Ganzes bislang nicht behandelt worden. Das gesellschaftliche „wir“ das das sich befragt ob es dies und jenes darf oder nicht darf ist noch kein Diskurs der die moralisch erlebten inneren Tiefen erreichen möchte. Die Konsequenz dessen ist die beharrliche selbstbequeme und grundsätzliche Ablehnung der Relevanz von all dem was gegen den Faunazid und die Theriozide in Richtung Tierrechtsphilosophie weist.

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[1] Der Begriff „nichtmenschliche Tiere“ kann als Bewertung des Menschen als über-den-Tieren-stehend verstanden werden. Daher wird der Begriff: ‚Animals other than humans’: etwa, „andere-als-menschliche Tiere“ vorgeschlagen. Siehe dazu: Psychologists for the Ethical Treatment of Animals (PSYETA) News, Fall 1998, Volume 19, Animal Liberation Through Language, Kenneth Shapiro: http://www.psyeta.org/newsltr/98fall4.html ; https://web.archive.org/web/20020306201130/http://www.psyeta.org/newsltr/98fall4.html [02.02.24]

[2] SHAW, G.B. The Intelligent Woman’s Guide to Socialism, Capitalism, Sovietism an Fascism, Constable and Company Ltd., London, 1929, pp. 438.

‘If a Church, holding that animals are set apart from human beings by having no souls, and were created for the use of mankind and not for their own sakes, teaches that animals have no rights, and women and men no duties to them, their teaching on that point will be excluded from the schools and their members prosecuted for cruelty to animals by the secular authority.

If another Church wants to set up an abattoir in which animals will be killed in a comparatively cruel manner instead of by a humane killer in the municipal abattoir, it will not be allowed to do it nor to teach children that it ought to be done, unless, indeed, it commands votes enough to control the municipality to that extent; and if their members refuse to eat humanely slaughtered meat they will have to advance, like me, to vegetarianism.’

[3] Eine derartige Vorstellung, den Vegetarismus als ethische Konsequenz zu verlangen, hat dennoch in der Geschichte der Kirche tatsächlich selbst eine Rolle gespielt:

„[…] die christliche Urgemeinde in Jerusalem [hat] unter Jakobus dem Gerechten in Ablehnung der mosaischen Speiseordnung gänzliche vegetarisch gelebt, und der Kirchenvater Hieronymus, der die lateinische Bibel schuf, hat im 4. Jahrhundert die theologische Begründung dazu gegeben: ‚Durch Christus‘, so schreibt er (Adv. Jovin. I, 30), sei das Ende der Geschichte wieder mit dem paradiesischen Anfang verknüpft worden, ‚so dass es uns jetzt nicht mehr erlaubt ist, Tierfleisch zu essen‘. Sein großer Zeitgenosse Augustin übertrifft ihn noch, wenn er schreibt, dass er lieber auf allen Weltruhm verzichten möchte als eine Fliege töten. So ist eigentlich der Weg einer sittlichen Entwicklung klar vorgezeichnet, der sich in einer konsequenten christlichen Liebeshaltung zu den Geschöpfen von jeglicher Tötung weg und auf ein neues, friedliches Nebeneinander von Mensch und Tier hinbewegt, auf eine Erlösung aus der tödlichen Abhängigkeit, wie sie sich das ängstliche Harren der Kreatur von den Kindern Gottes erhofft (Röm. 8,19).“ ILLIES, JOACHIM, Anthropologie des Tieres: Entwurf einer anderen Zoologie, München, 1977, S. 82.

[4] Ein detaillierter Artikel über den Verlauf der Trennung innerhalb der Vegetarismusbewegung, die in der Bildung der Veganen Bewegung mündete, wurde verfasst von Leah Leneman, No Animal Food: The Road to Veganism in Britain, 1909-1944, erschienen in Society & Animals, Vol. 7 No. 3, 1999. Der Text befindet sich auch auf http://www.all-creatures.org/articles/ar-road.pdf [last access 02.02.24].

[5] Encyclopaedia Britannica, 1964, Volume 23, pp. 24.

[6] ibid.

 

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