Draft 01.04.24
Tiersoziologie und Zeitgeist:
Postdemokratisch-proklamativ-herrschaftskritische Heilsversprechen für Tierfreunde – Befreiungsrhetoriken als Widersprüche in sich
Der radikalste Tierbefreiungsblöff, der am radikalsten versucht durch eine vermeintliche „Befreiungsrhetorik“, die in Wirklichkeit aber stark provokative Lücken aufweist, sich seines Objekts habhaft zu machen, als sei dies das eigentliche Ziel ein emanzipatives Thema einzuvernehmen und mit einer eigenen Agenda zu verquicken. Einige Leute meinen sie hätten ein leichtes Spiel, weil die Mehrheiten [sämtlicher Gesellschaften] sich [augenscheinlich noch immer] aus Tierhassern unterschiedlicher Form und Ähnlichem zusammensetzen. Sie unterschätzen dabei aber eben das Thema, das sie sich auf die Fahnen schreiben; was davon zeugt, dass sie sich des Gegenstandes, mit dem sie es hier zu tun haben, überhaupt nicht in voller Tragweite bewusst sind: Tierrechte lassen sich letzten Endes und in letzter Konsequenz genausowenig vereinnahmen wie Menschenrechte oder ein vernünftiger Umweltschutz – wenn diese Dinge funktionieren sollen.
Was den Mangel an Konsistenz und Widersprüchlichkeit augenfällig macht, sind in merklicher Weise:
- Ikonografien, die hochgradig tierobjektifizierend sind, werden mit zwar entgegengesetzten Botschaften über Solidarität mit Tieren gekoppelt. D.h. Bildsprachlich wird die Objektifizierung als Botschaft aber gleichwohl verwendet.
- Argumentationen und Argumentationsstränge, deren Inhalte sich bereits in engsten Rahmen bewegen, werden genutzt. Tierthemen werden somit für sich veranschlagt (z.B. als Feld der Expertise oder des zivilgesellschaftlich-politischen Engagements) unter Anwendung einer inadäquaten Bearbeitung speziesistisch-kontroverser Themen.
- Inhalte, die menschliche Konflikte in einseitiger Weise mit einbeziehen, bilden einen Fokus von bekenntnispolitischen Bestrebungen, die immer wieder das menschliche Interesse nach althergebrachter Form in den Mittelpunkt aller Logik setzen wollen.
- Das heißt damit auch, es findet keine politische Multidimensionalität statt, die verzichten würde Tiere und Tierfragen weiter in reduktiver Weise zu betrachten.
Was einem bei dem Faktor auffällt, dass sich in der Tierbefreiungsbewegung wirklich endlich mal alle Menschen zusammenzufinden scheinen um hier nun wirklich einen Schuh aus Menschen-, Tier- und Erdbefreiung werden zu lassen, ist, dass die kulturelle Vielfalt aber immernoch, im gemeinsamen Blick über den anthropozentrischen Tellerrand hinaus, doch nur mit (relativ betrachtet) vorwiegend ähnlichen Lösungsansätzen und nicht so ganz weit auseinander liegenden Philosophien eben keinen inhaltlichen Durchbruch landet.
Alle menschlichen Großgruppen haben ganz in offenkundiger Weise diesen einen Grund, der Grund genug ist befürchten zu müssen, dass ihre Geschichten durch einen Paradigmenwechsel im Denken erodieren und in einem neuen unvorteilhaften Licht erscheinen könnten. (Wir würden hier gezielt einen latenten perspektivischen Unterschied machen zwischen kulturellen Ideenräumen und durch Mehrheiten dominierten und durch Herrschaftsformen geprägten Räumen, die sich als Problemfelder auch auf die Mitwelt beziehen können – als Idee von „Kultur“, die wir aber mehr in den Bereich der „Kollektivtyrannei“ stellen würden.) Ein Paradigmenwechsel, der das Zugeständnis beinhalten würde, dass vermeintlich kulturelle Errungenschaft und individuelle Vernunft nicht immer als deckungsgleich begriffen werden können, wenn Menschen sich dazu erdreisten, sich den durchgängig kritischen Blick auf den Gesamtzeitraum des philosophischen Anthropozäns zu wagen.
Themen diskursiv abzudecken, die Tiere und die Umwelt anbetreffen, und die sich rund um die damit verbundenen Inhalte winden, heißt noch lange nicht, dass der gute Wille, der Menschen hierbei auszeichnet, ausreichen muss um substanziell zur Abschaffung von Strukturen beizutragen, die Tierhass und alle damit einhergehenden Abwertungsformen aus der Welt zu schaffen.
Definiere: die Reihe von -Ismen, die sich als Formen der Abwertung, der In-Abrede-Stellung von Integritätswerten, die sich auf Tiere beziehen, beobachten lassen.
Wer von Dir erwartet, dass Du seinen Definitionen folgen sollst, statt Dir Pluralismus im Denken zu gewähren in der Analyse faunazidaler Impulse von Menschen ( – egal welcher Menschen und egal warum), der beteiligt sich bereits an aufs Kollektivistische abzielende „Sozialzwanghaftigkeit“.
Einschwörung zur Einheitlichkeit und inhaltlicher Geschlossenheit als Weg zur Änderung eines gesamtgesellschaftlichen Problems, das in seiner Gänze, Tragweite, Ursächlichkeit und Konsequenz […] kaum zu fassen ist, ist ein counterintuitives Unterfangen, wenn man zur gleichen Zeit die involvierten, anbetroffenen Lebewesen ermächtigen will.
Wären psychologische Hintergründe, die sich hinter Tierobjektifizierung, Tierhass und Speziesismus verbergen, bereits adäquat erfasst, irgendwie hinreichend analysiert und Lösungsansätze somit lediglich für ein breiteres Verständnis in der Gesellschaft zu skalieren, selbst dann ergäbe eine Einschwörung einer Gruppe auf ein mehr oder weniger konformes Vorgehen dieser Art, welches offen ein entindividualisiertes Denken und Handeln fordert, auf der Ebene als politisch irgendwie unreif einzustufen.
Das Traurige ist, dass genau diese Fahrlässigkeit in der „Hilfestellung“ mit Teil der Besonderheit des die-Tierfrage-reduktiv-betrachtenden-Problems ist. Das heißt, es ist Teil speziesistischer Architektur, dass Menschen in vergleichbarer Fahrlässigkeit Hilfeleistungen einbringen ( – und das eigentlich in voller Breite, d.h. in der direkten sozialen Kontextualität sowie in allen theoretischen Fragen). Zu welchen Zwecken Aktivist*innen dies tun soll hier nicht mal weiter von Interesse zu sein haben. Es ist schlichtweg eine Besonderheit im Phänomen von tierobjektifizierenden menschlichen Handlungsweisen, und es gibt keinerlei Anlass – weder als Tierrechtler noch als Menschenrechter – immer noch weiter von der Illusion ausgehen zu müssen, dass menschlicher Kollektivismus und menschliche installierte und ausgeübte fremddefinitorische Macht, die Dritte anbetrifft, nicht immer in radikal kritischer Weise dem Zweifel ausgesetzt werden darf, im Interesse eines inhaltlich wesentlich breiter gefassten Gemeinwohls.
Tierfreunde und Tiersoziologie