Eine Heraussonderung von Leid und Empfinden als unzureichende Basis für Rechte

Repost: https://simorgh.de/about/tierintelligenzen-im-plural/

Tierintelligenzen und ein häufiger anthropozentrischer Fehlschluss

“Who are you little insect … what about the dragon flies that lived in prehistoric times, you are just like them.” – love justice

Tierintelligenzen und ein häufiger anthropozentrischer Fehlschluss der bei Tierrechtler*innen immer wieder vorkommt.

Anthropozentrismus ist…:

Wenn Tierrechtler*innen, Tierethiker*innen etc. meinen, der Maßstab für Intelligenz sei eine vermeintlich mehr oder weniger normativ festlegbare menschliche Form von Intelligenz. Wenn sie ohne weitere Diskussionen durchgehen lassen, dass unterschiedliche nichtmenschliche Spezies oder alle Nichtmenschen als weniger Intelligent bezeichnet werden. Und wenn sie dann wie Jeremy Bentham im 19.Jhdt. mutig äußern, dass das Leid und die Leidensfähigkeit alleine zählen.

  1. Gibt es unterschiedliche Intelligenzen, keine ist weniger wert, keine ist weniger komplex. [1]
  2. Wird der Bezugsrahmen bei solchen Faux pas an genau den menschlichen Idealen von Intelligenz ausgerichtet, die unsere Welt letztendlich auf den besten Weg zur totalen Zerstörung befördert haben.
  3. Tierintelligenzen seien nicht so relevant für die Anerkennung der nichtmenschlichen Würde und derer Lebensrechte. Und Homo sapiens sei der Maßstab für relevante Intelligenz/en überhaupt.

Aber nochmal zu Benthams Erkenntnis über die Relevanz der Leidensfähigkeit aller tierlichen Lebewesen – so auch des Menschen:

Er begründete selbst die Rechte unterdrückter ‚nichtweisser’ Menschen auf deren Leid und deren Zustand der Unterdrücktheit und nicht primär aufgrund derer kultureller Stärken, eventueller Verschiedenartigkeit [kulturgeschichtlich, kulturelle „Vielfalt“] und ihres eigenen Identitätsbewusstseins, so sagt er:

“The French have already discovered that the blackness of skin is no reason why a human being should be abandoned without redress to the caprice of a tormentor.” [2]

Und fährt in einem Atemzug fort:

“It may come one day to be recognized, that the number of legs, the villosity of the skin, or the termination of the os sacrum, are reasons equally insufficient for abandoning a sensitive being to the same fate. What else is it that should trace the insuperable line?”

Was gehört aber zu einem senstitive being / fühlenden Lebewesen? Dazu äußert er sich nicht positiv, erklärend. Sensitiv [im Sinne der Sentience] ist [hier] fühlend im eher biologisch, physiologischen Sinne, aber selbst dies ist ein slippery slope!

Im Bezug auf nichtmenschliche Tiere stehen wir also noch an ähnlicher Stelle wie die Utilitaristen. Wir begründen Rechte negativ, denn wir sprechen nicht von Besonderheiten, Einmaligkeiten, individuellen Stärken und vor allem von autonomer, eigenwertiger Bedeutsamkeit als Ausgangslage für die Anerkennung von Rechten. Wir sprechen von Leid, von fühlenden Wesen die Leiden können, der Rest bleibt erstmal zweitrangig in der Frage über Rechte. Dabei sind genau die Besonderheiten und die Autonomie des anderen Lebewesens, das, woran Recht sich bemessen können muss […].

Würde man Jeremy Benthams berühmtes Zitat über die Relevanz der Leidensfähigkeit von Tieren neu formulieren, würde der Fokus aber eben nicht weg von der Menge der Beine und der Beschaffenheit des Fells/Haut und der unbeantworteten Frage ihrer Vernunft hin zur Frage der Leidensfähigkeit geführt werden dürfen, ohne den anthropozentrischen Faux pas zu begehen, sondern wir würden genau an der Stelle ansetzen, wo das andere Individuum wegen seiner Besonderheit und Einmaligkeit anerkannt wird und der Mensch sich selbst neu genau daran ausrichtet, statt Definitionsmacht gegen das Leben anderer anzusetzen.

Benthams Schlüsselaussage, an der die Einklagung der Rechte scheitern muss, liegt eben an dem Punkt: “Is it the faculty of reason, or perhaps, the faculty for discourse?…the question is not, Can they reason? nor, Can they talk? but, Can they suffer? Why should the law refuse its protection to any sensitive being? The time will come when humanity will extend its mantle over everything which breathes…”. Die Frage sei nicht ob Nichtmenschen über Vernunft verfügten oder einen Diskurs führen könnten, … auch nicht ob sie sprechen könnten, sondern ob sie leiden würden, denn warum sollte das Recht einem fühlenden Wesen den Schutz verwehren. Die Zeit werde kommen in der die Menschlichkeit ihren Mantel über alles was atmen kann schützend ausbreiten wird.

Dieser ethische Pfeiler erscheint edel, großartig, seiner Zeit und Kultur entsprechen mutig, scheint uns aber zugleich auch unzureichend. Es reicht nicht, anders-/verschiedenartige Intelligenz, anders-/verschiedenartiges Denken und anders-/verschiedenartiges Kommunizieren als weniger relevant als die Leidensfähigkeit zu sekundarisieren. Denn selbst die Leidensfähigkeit umfasst ein Netz an Ganzheitlichkeit. Und wir können den/die anderen nur in ihrer gegebenen Anders-/Verschiedenartigkeit und Besonderheit anerkennen und ihnen somit würdige Rechte zum Schutz vor Homo sapiens zugestehen, wenn wir deren Einmaligkeit als ebenso bedeutsam und gleichwertig wichtig in unser Rechtsverständnis mit einbeziehen können. Dazu müssen wir den anderen aber in seiner Ganzheit sehen wollen.

Das wäre letztendlich ein fortschrittlicheres umweltethisches und tierethisches Denken.

[1] Ich beziehe mich hier gedanklich auf das Fragment: Die Evolution nichtmenschliche Lebens ist nicht irgendwie stehen geblieben > die Evolution nichtmenschlichen Lebens ist nicht auf irgendeiner vergleichsweise ‚primitiveren‘ Stufe stehen geblieben. Die Evolution der Lebensorganismen befindet sich in einem nicht-endenden zeitlichen Kontinuum und die Lebensformen sind divers. Es existiert dabei aber kein niederes, höheres – „besser“ oder „schlechter“ angepasstes Leben.

[2] Jeremy Bentham (1748 – 1832); Introduction to the Principles of Morals and Legislation, Zitate: https://www.utilitarianism.com/jeremybentham.html, Stand 03.11.17.

[Ergänzung für das Tierrechts-FAQ: Antihegemonialer-Anthropozentrismus – vom Wert menschlicher Intelligenzvorstellungen in der Beurteilung tierlicher Intelligenzen.]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert