„Das Wohlwollen erteilt kein Recht auf Schutz.“ Kampfhasen, Schnecken und Dämomen, Blaurot.

Keine philosophische Beherrschbarkeit

Es fällt nicht leicht, öffentlich Kritik an Jane Goodall zu äußern. Zu groß ist ihr Nimbus als Ikone der Primatenforschung – und allein schon darin liegt Anlass zur Kritik. Goodall steht zugleich für eine vermeintlich „tierfreundliche“ Haltung. Wer möchte das negativ bewerten? Schließlich verbindet sich in ihrem Bild eine tierfreundschaftliche Geste mit dem Glanz menschlichen Wohltätertums gegenüber der Natur. Und schließlich wissen alle um die Dringlichkeit des Schutzes der Räume, die Menschen paradoxerweise nicht schaffen zu schützen, ob wegen oder trotz ihres „überlegenen Intellekts“ – der sich in bestimmten Punkten aber doch einfach nicht verifizieren lässt. Warum halten Tierfreunde wie Goodall, dann aber am Homo Sapiens fest als Maßstab, gerade in Berührung mit Primaten, die doch einen Zugang zu tierlichem Denken ganz freundlich eröffnen?

Kritik ist notwendig, wenn wir uns ernsthaft einer antibiologistischen neuen Tiersoziologie zuwenden. Goodalls Herangehensweise bleibt unübersehbar einem hegemonial anthropozentrischen und speziesistischen Rahmen verhaftet. Gerade in der Primatenforschung erscheinen Tiere als „uns ähnlich“ – und genau diese Nähe zum Menschen wird zur Begründung ihrer Schutzwürdigkeit. Das schafft eine Hierarchie, in der die Eigen-Tierlichkeit der gesamten Familie der Primaten verdunkelt wird. Und, die Tiere, die weniger „menschenähnlich“ sind – wobei dieses menschenähnlich selbst Menschen ausschließt und hierarchisiert (…) – passen nicht in diesen Spiegel und werden so strukturell unsichtbar gemacht.

Diese Problematik ist nicht neu – schon Ende der 1980er Jahre hat die Tierrechtsbewegung darauf hingewiesen. Aber man muss es wiederholen: Spezies-Hierarchien bleiben Hierarchien. In einer post-anthropozänen Logik darf der Mensch nicht länger als „Apex der naturgemäßen im Sinne einer zwangsläufigen Evolution“ gelten. Der Begriff Homo sapiens als alleinig denkende Krone der Schöpfung ist nichts anderes als speziesistischer Sozialdarwinismus, der die Kontexte und Gewichtungen anderer Lebewesen ausblendet.

Als jemand, der in einem Schutzprojekt beheimatet ist, sehe ich, wie wenig der biologistische Blick über die Eigenarten unserer tierlichen Gefährten aussagt. Er fixiert sie als Objekte der Erkenntnis über sie, und das innerhalb engmaschiger Kategorien, zirkulär verlaufend um die Ethologie und „dem Menschsein“ als idealem Modell (und in Wirklichkeit unklare Kategorie). Zumeist sieht man Tiere in ihrer Summe, und Subjekte und Gruppen als eigengeschichtslos, und so scheinen sie bloß zu Instrumenten für Naturschutzkampagnen zu werden, die ja eigentlich sie in den Mittelpunkt rücken sollen, aber das eben nur unter Auflagen, ganz einfach, weil wir deren Geschichten nicht in unsere menschlichen Gefüge pressen können. Aber statt dass wir sagen, dass wir es nicht können, haben diese Tiere ganz einfach kein eigenen Narrative „als Tiere“. Und so ist die Sache besiegelt: Ihre sozialen, kulturellen und subjektiven Ausdrucks- und Kommunikationsebenen treten in den Hintergrund. Sie verschwinden – weil wir sie durch unser Raster narrativ dominieren.

Eine antibiologistische Tiersoziologie muss diesen Horizont überschreiten. Sie darf Tiere nicht nach Nähe zum Menschen oder nach ihrem Nutzen für menschliche Projekte bewerten. Es geht darum, Tiere als eigenständige Subjekte anzuerkennen – und die alten dominanten Konzepte tatsächlich aufzugeben. Man muss sich von einen angepassten Denken leer machen, um neu denken und neu benennen zu können. Vor allem muss man hier eigene Kategorien und Denkweisen schaffen.

Egal wie gut es gemeint ist und egal wie wohltätig Natur hier geschützt werden soll: Es ist anmaßend, den Tieren eine vom Menschen unabhängige Vernunft abzusprechen und den Menschen in allem, ihn als vermeintlichen Maßstab qualifizierenden Wissen, und aber auch in aller „Freundschaft“ zu ihnen, über sie zu stellen. Gerade in Schutzprojekten zeigt sich, wie stark diese alte Herangehensweise weiterhin dominiert und wie dringend wir sie in Frage stellen müssen.

Eine solche Kritik öffentlich zu formulieren, bedeutet, sich von einem etablierten, vermeintlich „unantastbaren“ Diskurs zu lösen. Es heißt, bewusst eine unbequeme Position einzunehmen. Die Schwierigkeit, so etwas auszusprechen, gehört dazu. Aber genau deshalb ist es notwendig, immerhin liegt das im Interesse der Sache.

Goodalls Argumentation bleibt aus Tierrechtssicht einer problematischen Tradition verhaftet, die Tierlichkeit nicht als eigenständigen Rechtsstatus, sondern als Spiegel menschlicher Empathie denkt. Diese Verschiebung hin zum Gefühl des Empathie und insofern auch einem erteiltem altruistischen Wohltätigkeitsdenkens, statt zu einer strukturellen Anerkennung findet sich zum Teil auch in Ansätzen von „Tierbefreiung“: Lori Gruen argumentiert in einerseits antihierarchischer Sicht in ganz ähnlicher Weise, dass Empathie ausreiche, während Rechte nicht notwendig seien (vgl. Sollten Tiere Rechte haben? simorgh.de). Aber genau hier liegt die eigentliche Gefahr: Empathie mag als Ansatz wertvoll sein, bleibt aber selektiv, punktuell und subjektiv an die eigene Privilegiertheit des selbsterteilten menschlichen Rechtsstatus gebunden, der Schutz vor Übergriffen durch Menschen als Teil von Entrechtung wird nicht in Betracht gezogen, und Empathie wird vergleichbar mit einem Akt bloßer Wohltätigkeit, d.h. ohne effektive Rechte vor menschlichem Speziesismus geschützt zu werden,  wird die Stellung der Tiere weiter in den Bereich des menschlichen Wohlwollens verschoben – und nie als eigenständige, unveräußerliche Position anerkannt.

Das Schisma zwischen der Wertigkeit von handelndem Intellekt und materieller Welt. Das Tierbild als impulsgesteuerte, „animierte Materie“. Nichts anderes bildet sich ab in den Begrifflichkeiten der Ethologie. Das Wohlwollen sollte wirklich mal zum Punkt kommen.

Das Spezies-Ranking mit Bezugnahme auf die Ähnlichkeit zu Homo Sapiens, mit diesem Thema hat sich Karen Davis immer wieder befassen müssen, wobei sie selbst die biologistischen Pfade nicht wirklich verließ:

In der Ausgabe TIERAUTONOMIE (Jg. 9, Heft 5, November 2023) findet sich unter dem Titel „Hühner und Schimpansen: Das seltsame Paar der Tierrechtsbewegung“ ein von Karen Davis verfasster Beitrag (übersetzt von Gita Marta Yegane Arani), der genau jene Problematik adressiert, dass manche Tiere – insb. Primaten – in der Tierrechts- und Naturschutzdiskussion über ihre vermeintliche Nähe zum Menschen privilegiert werden, während andere systematisch ausgeblendet werden. Davis kritisiert darin den Great Ape Project und andere biologistische Hierarchisierungen – sie fragt, warum in der Projekt Menschenaffen auf ein „weil sie mehr wie wir sind“ vom Tierrechtsgedanken generell, zu Lasten anderer Tiergruppen, entkoppelt werden. Dies deckt sich mit unserer Kritik: Dass Schutzwürdigkeit oft über Ähnlichkeit zum Menschen definiert wird – und so die Eigenständigkeit vieler Tiere unsichtbar bleibt. > https://simorgh.de/tierautonomie/JG9_2023_5.pdf

Dieser Text hier versteht sich auch nicht alleine als Kritik an Goodalls Ansatz der Wohltätigkeit gegenüber Primaten und eines sehr präsenten, engagierten und auf seine Weise äußerst wirksamen tier- und naturschützerischen Paternalismus. Man könnte argumentieren, das anderes überhaupt nicht möglich gewesen wäre in unserer Zeit. Nur, allein dass solches Denken die Mehrheit im Naturschutz ausmacht – in unserer Zeit – auf Ebene von Organisationen, politisch, sowie unter Normalbürgern, heißt noch lange nicht, dass > auch Hilfe nicht kritisierbar sein kann im Punkte derer Argumentationen.

Keine philosophische Beherrschbarkeit. Weshalb?

„Sie sind bis zu einem gewissen Grad wie wir“ baut auf einer gewissen Vorstellung und Haltung gegenüber „Natur“ auf, und dem Schisma:

Mensch = Geist und valides Denken, Sprache, Freiheitbegriff

gegenüber

Natur = kausalistisch, determiniert funktionierende Materialität, die sich als Solche „in sich“ durch den Menschen und im Vergleich zu seinem Erkenntnisbild final fassen und einer Instrumentalisierung durch ihn unterordnen ließe, u.a.

In der Vorstellung, dass eine Bedingung der Ähnlichkeit feststellbar und nachweisbar sein müsse, zur Erteilung von fundierten Rechten

  • und es müssen ja immer Rechtbegriffe sein, die sich im Rahmen unserer aktuellen Konstrukten von Rechten bewegen, als ließe sich hier keine andere, dem Fall gerecht werdende Basis finden
  • das, wo wir in Wirklichkeit lediglich eine Erteilung von Rechten eines gewissen Schutzes vor menschlichen Übergriffen verschiedenster Natur benötigen,

wird davon ausgegangen, dass es derzeit überhaupt keine andere tierrechtsethische Ebene gäbe, die eine Möglichkeit über Rechte zu sprechen gewährleisten würde. In der Argumentation der Ähnlichkeit zum Menschen werden moralisch-ethische Rechte gebildet, ausgehend von der Annahme, dass das menschliche Rechte-Paradigma, wie es derzeit besteht, das einzige mögliche ist.

Und diejenigen tierlichen Subjekte [Tiere] oder Tiergruppen, die teilweise seien „wie wir“, sollen und können auf der Grundlage, aus Sicht von jedermann, der so argumentiert, aber nicht mal unbedingt juristische und politische Rechte erhalten. Einige Tierschützer berufen sich primär auf Empathie und allgemeine Moral, wie im Falle von Goodall.

Derweil werden andere Eckpfeiler, wie Rechte begründet werden können, nämlich u.a. auch als Schutz vor Menschen (in der vollen Tragweise dessen; nimmt man den Menschen in seiner destruktiven Funktion im Weltgeschehen) nicht angedacht: das menschliche System, das menschliche Primat und die eigene Hybris werden stets über Möglichkeiten neuer Denkweisen gesetzt, obgleich klar ist, dass keine neue Denkweise komplett durchformuliert existieren kann auf die zurückgegriffen werden könnte und neu gedacht werden muss um die Wars on Animals zu beenden.

Man hat es in der Problematik mit dem alten Natur-Mensch-Schisma und seinem hierarchischem und arbiträren, behauptenden Wertedenken zu tun. Natur soll da sein, aber nicht als Träger von Rechten, die „sie“ und ihre Konstituenten gegenüber menschlichem Handeln grundlegend schützen würden. Damit wird der weiterhin nicht bezeichnete Faunazid [der auch als „War on Animals“ bislang noch nicht hinreichend definiert ist angesichts von Ausmaß und Tragweite] aber in dem Sinne nicht mal wirklich als Ökozid anerkannt.

Die tierliche Besonderheit der verschiedenen Tiergruppen und Tierfamilien [einschließlich der Tierindividuen oder tierlichen Subjekte] wird, was ihr Zusammenwirken und ihre Historie/n anbetrifft, verkürzt verstanden und erhält keine eigenen Begrifflichkeiten, unter der Prämisse einer Achtung gegenüber tierlicher Autonomie.

Neue andere Rechtsbegriffe, anstelle solcher, die eine Ähnlichkeit voraussetzen und Rechte aus Menschenrechten auf Grundlage derer historischen Entwicklung und Funktionalität ableiten wollen, wären:

Der Freiraum > für das Tierdenken oder das tierliche Denken, der Tiersprache oder der tierlichen Sprachen, der tierlichen Einmaligkeit und Besonderheit, und ein wesentlicher Pfeiler und Grundvoraussetzung wäre hier > das Zugeständnis, das „wir“ etwas nicht wissen, und dass der Schutz vor menschlichem Handeln und Speziesismus nötig ist.

Entwurf 05.10.25

2 Antworten auf „Keine philosophische Beherrschbarkeit“

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