—-Arts by Pegi—–
Antispe Ability 2025 / 1, S. 6.
Aktivismus im Seinsmodus
Heute sind vermutlich Vielen nicht mehr die Klassiker soziologisch-psychologischer Diskussionen bekannt, die ich, Palang, für meinen Teil aus meiner Generation her kenne, die in den 1970ern und 80ern ganz maßgeblich gewesen sind und die eine zeitlose Relevanz tragen und immer wieder als Inspiration Denkanstöße bieten können.
Auf einen solcher Klassiker möchte ich also nun im Zusammenhang mit dem gewählten Thema: ‚Aktivismus im Seinsmodus‘ hinweisen, da man ohne jene Diskussion vermutlich im Ansatz nicht so leicht verstehen wird, was für ein bedeutender Gegenstand von Erfahrungserfassung hier überhaupt gemeint ist.
Gerade heute und gerade im Punkte des politischen Aktivismus für Bürgerrechte findet man gegenwärtig eine Haltung, ähnlich wie bei den typischen kulturkonsumeristischen Einstellungen des breiten Mainstreams vor.
Viel an Aktivismus dem man begegnet, ist in seiner Umsetzung, sowie in der inhaltlichen Ausgestaltung und Tiefe, eher informiert durch Aussagen und Zeichensetzungen, durch welche erkennbar wird,
- dass man unterschiedliche Dinge in einer Art Anpassungsleistung übernommen hat, und
- Dass man sich inhaltlich aus Quellen eher lediglich hat leiten lassen, statt dass man sich erlauben würde, den Mut dazu zu fassen, aus der unmittelbaren Besonderheit eigener Überlegungen zu schöpfen und die Ergebnisse eigener Überlegung als Information und als Anstoß dann auch selbstbewusst weiterzukommunizieren.
Und noch so ein markanter Faktor, mit dem wir es heute bei aktivistischen Handlungen immer wieder zu tun haben, ist so eine Art Kosten-Nutzen-Rechnung darüber, wie viel messbaren Erfolg man nun mit seiner Botschaft generieren konnte.
Um deutlich zu machen, von welchem Unterschied ich hier nun spreche, welcher zwischen einem Aktivismus liegt, der eine relativ strikte Form der Anpassung mit sich bringt, und einem Aktivismus, der das Selbstschöpferische als eher autark versteht, weise ich hiermit also hin auf Erich Fromms Axiom eines Seinsmodus, das er dem eines Habensmodus gegenüberstellt.
Ein > Axiom > bedeutet in der Wissenschaft und in der Philosophie: 1. Ein als vollkommen richtig erkannter Grundsatz; eine gültige Wahrheit, die nicht weiter bewiesen werden muss; und 2. Eine nicht abgeleitete Aussage eines Wissenschaftsbereichs, aus der aber andere Aussagen abgeleitet werden können.
In der Einleitung seines bekannten Werkes „Haben oder Sein“ (1976) schildert Erich Fromm (Deutscher Psychoanalytiker und Philosoph, Geboren: 23. März 1900, Frankfurt am Main, Deutschland; Verstorben: 18. März 1980, Muralto, Schweiz) eindrücklich drei unterschiedliche Herangehensweisen an die Welt, ausgedrückt in drei Perspektiven dreier unterschiedlicher Gedichte.
In diesen drei exemplarischen Gedichten wählt der erste dichterisch verbildlichte Ansatz, in einem Gedicht des amerikanischen Dichters Tennyson, eine Herangehensweise an eine Blume, indem er diese abpflückt. Das zweite Gedicht, von Goethe, schildert das Umpflanzen einer Blume in einen Topf und das dritte, des Zen-Buddhistischen Dichters Bashō, drückt eine Haltung zur bewunderten Blume aus, die allein beobachtend und bestaunend bleibt und weiter nicht in irgendeiner Form einen Eingriff zur > Habhaftmachung vollzieht.
Von diesen Bildern beginnend erklärt Fromm die beiden grundsätzlichen unterschiedlichen Pole zwischen einer Haltung dem Leben gegenüber in Form des „Habens“ und, als Gegensatz, eine Haltung des „Seins“.
Wie sich dieses Bild unter dem Gesichtspunkt der verschiedenen Haltungen auf unsere heutige Situation im bürgerschaftlichen Aktivismus, im spezifischen gegen Ableismus in der Gesellschaft, übertragen lässt:
Im Trubel des politischen Aktivismus und im Bemühen möglichst viel, und das eben auch möglichst gemeinsam zu erreichen, werden oftmals die Wege gegangen, die nicht nur – wie oben erwähnt – informiert sind aus Mechanismen eines kulturindustriell geprägten gemeinsamen Austausches, sondern sowohl
- die Entwicklung von Inhalten und Ansprüchen, als auch
- die Einschätzung dessen, was wirksam ist und wie genau etwas wirksam sein sollte,
bewegen sich vornehmlich auf einer „habensgeleiteten“ Seite, bei der von Anfang ganz gewiss ist, womit es alle zu tun haben wollen – das heißt, in welcher Art ein Problem handhabbar gemacht werden muss, damit es verstehbar wird – und in welcher Art das Problem dann aber auch adressiert werden muss. Ein Rahmen wird gesteckt in einer Art kollektiven Leistung.
Was auch heißt, eine Annäherung an eine Frage ist vom Anfang der Fragestellung bis hin zu den Antworten, die man sich auf irgendeine eine Frage gibt, schon mehr oder weniger festgelegt.
Es herrscht beispielsweise eine Gewisse Meinung über ein Problem, wie sich dieses zusammensetzt und wie sich dies am besten auch lösen lassen soll.
Gerade aber unter dem Gesichtspunkt einer nicht-defizitären Haltung zu unserem Thema Behinderung, und dabei unter dem Gesichtspunkt eines sozialen und gesellschaftlichen Kapitals, das im Behindertsein liegt (Stichwort: Teilhabe), können unterschiedliche Wege, wie zum Beispiel verschiedene Individuen sich unterschiedlich Einbringen, bei dieser Form der üblichen Herangehensweise aber auch untergehen, wenn nämlich von vornherein zu viele Festlegung geschaffen sind und Rahmen zu Erörterung eines Problems zu eng gefasst sind.
Untergehen können gerade die sogenannten „leiseren Töne“, die vielleicht in individuelleren Wegen ihren Ausdruck finden.
Durch Barriereerfahrungen kann vieles an Einbringung und Ideenschaffung beinahe unsichtbar werden, sowie durch Hemmnisse oder sogar durch echte Widerstände, z.B. in Formen von Diskriminierung durch sozial-gesellschaftliche Ausschlüsse.
Unsichtbarkeit wichtig nehmen
Aber nun gerade an solchen Punkten, die der Einzelne in derartige Richtungen möglicherweise erleben kann, dass nämlich unterschiedliche Erfahrungen oftmals viel zu unsichtbar bleiben, zeigt sich bei einigen Personen, dass ein eigener Lösungsweg vielleicht gar nicht mal in dem Wunsch liegt, das eigene Behindertsein zu mainstreamen, in dem Sinne, dass man anstrebt, Teil von einer bestimmten, sogenannten sozialen Normalität in der Gesellschaft zu werden, sondern, es kann genauso gut sein und es ist ja auch genauso legitim, dass man Normalitätsbegriffe vielleicht ja auch verändern will, in eine Richtung, dass genau das wie man ist – und das auch gerade in Hinsicht auf eigene Sensibilität – zu einem Plus wird, und dass die Gesellschaft als Ganzes einen Raum lässt für plurale Herangehensweisen und für unterschiedlichere Beiträge auf allen Ebenen.
Eine Erfahrung zu machen, selber in einer schablonisierten Gesellschaft abzuweichen von dieser und jener Norm, kann gerade aus dem eigenen Erleben heraus, dass man selbst erfährt und gestaltet, zum Aktionspunkt werden und es ist völlig legitim, dass die für einen selbst positiv gangbaren Wege auch prägend sein können für ein allgemeines Verständnis von Aktivismus.
Das heißt, so wie ich selbst die Dinge mache > so bergen sie ein Potenzial > so sind sie Ausdrucksfähig und Dinge mitgestaltend, und so sind sie die Dinge verändernd.
Zu sehen, dass verschiedene Menschen in der Tat verschiedene Wege haben, wie sie Inhalte entwickeln und diese umsetzen, ist der entscheidende Punkt, in denen ein am Qualitativen ausgerichteter, und das heißt ein seinsgeleiteter Aktivismus, sich von einem an quantitativen Kriterien ausrichtenden, habensgeleiteten Aktivismus unterscheidet.
Ich vermittle eine authentische Überlegung und Beobachtung auf meine Art und Weise und spreche andere dadurch anders und auf anderen Ebenen an, als mich an eine Gruppendynamik zu hängen, in der alles durch Vorgänge in einer Menschenmenge erst quasi gefiltert wird.
Man kann Impulse geben auf der Basis von einer Echtheit und man kann im Zuge der Bewegung von Vielen irgendwo inhaltlich einfach mitlaufen und mitmachen. Es ist etwas anderes, den Mut zu fassen eine authentische Botschaft über eine Sache selber zu artikulieren, als lediglich das Gleiche zu einer Sache zu sagen, was eben viele gerade wiederholen. Als Ausgangspunkt die eigene Wirksamkeit zu wählen, ist bestimmt schwerer, aber man schöpft so aus vielen facettenhaften Beobachtungen und lässt so viel Raum für weitere Denkanstöße.
Die eigene Wirksamkeit liegt paradoxerweise oft ganz nah an eigenen Ohnmachtsgefühlen und der Sorge, Dinge nicht zu schaffen oder überhaupt zu können. Aber eine autarke, eigenständige Wirkweise beinhaltet viel mehr an Kraftpotenzial, als man das oft so glauben mag, weil: zum einen wird man so selbst zu einem Quell von Ideen, und zum andern können so auch andere dadurch angeregt werden, zu entdecken, dass man sich nicht immer nur an die eine oder die andere vorherrschende allgemeine Meinung dranhängen muss, sondern, dass man auch selbst über Hebel verfügt, welche Dinge auf eine ganz andere Weise mitbeeinflussen können.
Zum Abschluss ein Zitat aus Haben und Sein:
„Da wir in einer Gesellschaft leben, die sich vollständig dem Besitz- und Profitstreben verschrieben hat, sehen wir selten Beispiele der Existenzweise des Seins, und die meisten Menschen sehen die auf das Haben gerichtete Existenz als die natürliche, ja die einzig denkbare Art zu leben an. All das macht es besonders schwierig, die Eigenart der Existenzweise des Seins zu verstehen und zu begreifen, dass das Haben nur eine mögliche Orientierung ist.“
Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft
To Have Or to Be? von Erich Fromm (Autor:in) Rainer Funk (Herausgeber:in). 145 Seiten, 2014; https://books.openpublishing.com/document/286086 [Zugriff 22.02.2025]; eine Online-Fassung dieser Ausgabe befinden sich auf > https://keinding.com/onewebmedia/Haben-oder-Sein.pdf [Zugriff 22.02.2025]. Ich habe das Zitat von dort übernommen, jenes PDF hat aber keine auf den Seiten befindlichen Seitenzahlen.