Gruppe Messel: Kritik am Reitsport – Zusammenfassung und Fokussierung auf die Dressur. In: Im philosophischen Anthropozän (4). Tierrechte wie Menschenrechte behandeln. E-Reader: Gruppe Messel 2025 / 6, Jahrgang 7, Nr. 6, Juli 2025, Edition Farangis, S. 10.
ISSN 2700-6905.
Online verfügbar unter: https://farangis.de/reader/e-reader_gruppe_messel_2025_6.pdf.
URN: https://d-nb.info/1371888590/34.
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Tierrechtsethik und antibiologistische Tiersoziologie
Man bewundert das Pferd, und bricht ihm den Willen. Man nennt es Liebe, und meint Gehorsam.
Gesellschaften haben in der Vergangenheit mit vielen alten Gewohnheiten gebrochen und sind fortan darum bemüht, Fortschritte im Kampf gegen grausame Praktiken und ethische Verrohung zu erzielen. Kinderarbeit, patriarchal-sexistische Unterdrückung, Folter und Sklaverei sind im Rahmen unserer Vorstellungen über Menschenrecht die typischerweise bekannten Relikte einer grausamen Vergangenheit unter Menschen, die wir heute als theoretisch, also zumindest vom Anspruch her, als überwunden betrachten können, was unser ethisches Selbstverständnis und unsere Begriffe von Recht und Unrecht anbetrifft. Die ethische Einstellung gegenüber Tieren und wie Menschen sich zu ihnen verhalten sollten, gehört in diesen historischen Lernprozess eingeschrieben.
Der Reitindustrie, mit ihrer prämierten Brutalität und Überforderung in allen Sorten der Wettbewerbe wie die diversen Rennen, Military-Reiten, Springreiten, getragen von vielen auch jungen begeisterten Pferdeliebhaberinnen, muss im Lichte heutiger ethisch-moralischer Standards neu bewertet werden. Verantwortung und Vernunft müssen eingefordert werden, damit auch solche Praktiken, die im Bereich der Instrumentalisierung von Tieren anzusiedeln sind, Gegenstand allgemeiner öffentlicher kritischer Hinterfragung werden.
Wir werfen unseren Blick hier insbesondere auf das Dressurreiten, das gerade auch im Breitensport so eine Rolle inne hat, und von vielen genutzt wird, um sich ihr Pferd oder ihre Pferde „hörig“ zu machen. Ausbeutung und Unterwerfung wird hier als ein Sport betrieben, und es ist völlig egal, wie elegant diese Art der speziesistischen Herrschafts- und Dominanzrituale dabei inszeniert werden.
Kritik am Reitsport – Zusammenfassung und Fokussierung auf die Dressur
von Lothar Yegane Arani und Gita Yegane Arani
Das Reiten, aus dem der ‚Reitsport‘ resultierte, ist seit Jahrhunderten tief in der menschlichen Kultur verankert als Symbol von Prestige, einer sonderbaren Praxis menschlichen Überlegenheitsgebarens und speziesistischer Verzwecklichung und Kontrolle. Aus tierrechtsethischer Sicht ist das Reiten grundlegend problematisch. Pferde gelten als edle, bewundernswerte Tiere und werden dennoch in auffallend selten kritisierter Weise ausgebeutet. Sie werden gezüchtet, trainiert, physisch ausgenutzt bis terrorisiert und ihre emotionale Ausbeutung wird romantisiert und verklärt. Nicht selten werden sie getötet, wenn sie ökonomisch oder funktional nicht mehr „brauchbar“ sind oder die Versorgung zu teuer wird. Aufgrund ihrer Größe und der fehlenden flächendeckenden Möglichkeit Großtiere zu bestatten, entledigt man sich ihrer toten Körper in respektloser Weise, und die Frage, ob für Pferde ein natürlicher Tod möglich ist, bleibt offen.
Der Reitsport veranschaulicht eine speziesistische Haltung, in der nicht-menschliche Tiere als Mittel für menschliche Zwecke fungieren – unabhängig von ihrem Empfinden, ihrer Würde, ihren Wünschen und ihren ganz grundlegenden Bedürfnissen. Jedes Recht, das sie leben würden ohne Menschen, wird ihnen mit entsprechenden tierobjektifizierenden Argumentationen abgesprochen.
Reiten an sich, selbst in seiner scheinbar sanften Form, basiert auf Hierarchie, der Ausübung von Druck, in Kontexten von Zwängen und durch ein permanentes Hinarbeiten auf Unterwerfung, die man negiert und durch attribuierende biologistische Zuschreibungen als bedenkenlos und „tiergerecht“ kaschiert. Die Tiere werden nicht ernst genommen in ihrer Kommunikationsweise, sondern gelenkt, diszipliniert und gefügig gemacht. Diese Struktur der Herrschaft spiegelt ein tiefer liegendes Machtverhältnis wider, das in vielen Sportarten, die Tiere beinhalten grundlegend ist, im Reitsport jedoch aufgrund seiner Verbreitung besonders sichtbar wird.
In der Literatur gibt es eindrucksvolle Reflexionen über diese Grundeinstellung gegenüber Pferden. Bei Leo Tolstoi in ‚Der Landvermesser‘, bei Dostojewski in Raskolnikows Traum von der Mähre oder bei Émile Zola mit dem Pferd Trompette [1] – immer wieder sind es Pferde, deren Leid exemplarisch für die Grausamkeit menschlicher Entrechtung steht. Gerade weil Pferde als fühlende Wesen in unserer Kultur in so unklarer und konsequenzloser Weise idealisiert werden, im Rahmen stereotyper Zuschreibungen, offenbart ihre tatsächliche Behandlung eine tiefgreifende ethische Diskrepanz und Fragwürdigkeit.
Innerhalb des Reitsports nimmt die Dressur (als das „klassische Reiten“) eine besonders bedenkliche Rolle ein. Sie wird oft als höchste Form der Harmonie zwischen Mensch und Pferd inszeniert – als ästhetische Verschmelzung von Disziplin und Eleganz. Doch unter der Oberfläche steht eine Praxis, die systematisch auf die physische und psychische Kontrolle des Tieres abzielt. Die Bewegungsabläufe sind nicht natürlich und freiwillig, sondern werden durch jahrelanges, oft rigides Training erzwungen. Dokumentierte besonders offenkundige Missstände – wie der Einsatz von Sporen bis zur Verletzung, Zwangshaltungen wie der „Rollkur“ oder der Einsatz von Peitschen – zeigen deutlich, wie weit die Mittel reichen, um die „Perfektion“ der Vorführung zu sichern.
Dressur ist, ob mit sanften subtilen Zwängen oder mit augenfälligem Zwang, kein Ausdruck von Partnerschaft, sondern ist ein Ritual der Kontrolle. Sie symbolisiert die vollendete Unterwerfung eines nichtmenschlichen Tieres unter menschliche Erwartungen. Dass dies als „Kunst“ oder „Sport“ gefeiert wird, wirft grundlegende Fragen auf: über unseren moralischen Umgang mit Tieren, über Macht und Ästhetik und darüber, weshalb Menschen heute noch meinen, solche Praktiken seien als kulturelles Erbe zu verteidigen. Die Tatsache, dass etwas eine lange Tradition hat, ist schließlich kein ethisches Argument für seine Fortführung.
Unsichtbarkeit, emotionale Ausbeutung und gesellschaftliche Verdrängung
Aus Tierrechtssicht nimmt das Pferd in der Hierarchie menschlich dominierter sozialer Verhältnisse im Bezug auf Tiere, eine besonders ambivalente Stellung ein. Einerseits gelten Pferde als Repräsentanten für Vorstellungen von tierlicher Freiheit, Stärke, Sensibilität und Schönheit – andererseits ist die Realität von Pferden von Ausbeutung, Vernachlässigung, Gewalt und von Menschen billigend in Kauf genommener Tötung geprägt. Insbesondere die Normalisierung von grausamster Tötung, die eben auch Pferde weltweit und in alltäglicher Weise anbetrifft, schockiert einen. Man ist sich des Problems gewahr, aber setzt sich nicht für ein Umdenken bei Menschen ein. Diese Diskrepanz ist nicht nur ethisch aufschlussreich, sondern auch psychologisch bemerkenswert.
Pferde sind von Speziesismen in einer vielschichtigen Weise betroffen, die über körperliche Gewalt hinausgehen und die vielschichtig und systemisch innerhalb tierobjektifizierender Gesellschaften operieren. Es gibt Formen speziesistischer emotionaler Misshandlung, bei denen Menschen ihr Bedürfnis nach Nähe, nach Kontrolle oder Projektionsfläche auf das Tier übertragen – oft unter dem Deckmantel vermeintlicher „Tierliebe“. Im Falle von Pferden sind Menschen meist besonders stolz, so ein großes Tier als „Freund“ und „Besitz“ deklarieren zu können. Auch sexualisierte Gewalt an Pferden, so schwierig dieser höchst abgründige Bereich zu thematisieren ist, kommt immer wieder vor und gehört mit zur Schattenseite der Folge von psychologischer Machtstruktur. Obgleich dieses Thema unter Pferdefreunden verdrängt oder tabuisiert wird, das Problem lässt sich nicht umgehen und muss adressiert werden.
Die besonderen Verdrängungsleistung, mit denen wir es zu tun haben beim Thema Pferde und Speziesismus, spiegelt sich auch darin, dass selbst viele vegane oder tierethisch engagierte Menschen selten über die weltweite Schlachtung von Pferden sprechen. Dabei ist die Ermordung von Pferden in Schlachthäusern und die Verarbeitung ihrer Körperteile zum Verzehr ein weiterer Bereich der „Normalität“ der verschiedenen Arten und Weisen, wie Speziesismus unterschiedliche Tiere in unterschiedlicher Weise, in unterschiedlichen Kontexten anbetrifft.
Zahllose Tiere erleiden im Sport oder durch Vernachlässigung im Zusammenhang mit ihrer Ausbeutung furchtbare Schicksale, über die die Mehrheitsgesellschaft hinwegsieht. Dass gerade diese Tiere, die kulturell oft von Menschen in einer Art Zurschaustellung scheinüberhöht und scheinverklärt werden, zugleich solchen Gräueln ausgesetzt sind, zeigt die Tiefe einer kognitiven Dissonanz, bei der Menschen sich schmücken mit Tieren, deren Realitäten ausblenden oder die sie schlichtweg nicht weiter interessiert.
Diese Dissonanz wird in der Art und Weise, wie die Manipulation von Pferden romantisiert wird, auf den Gipfel getrieben: man glaubt, sie „verstehen“ zu können anhand von Stereotypien, in die man ihre Kommunikation hineinpresst; man meint ihnen irgendwas „zuflüstern“, also suggerieren zu müssen, während man sie unter Zwängen einengend kompromittiert, weil man sie manipulieren möchte – und findet es dabei völlig in Ordnung, dass all solche Kniffe dem Zweck dienen, sie gefügig zu machen und vorzuführen. Hier vereinen sich emotionale Aneignung und funktionale Herabsetzung auf besonders perverse Weise. Man beutet Pferde emotional aus zu therapeutischen Zwecken, um die menschliche Seele zu heilen, während man die Traumata der Tiere, ohne nur einen Gedanken daran zu verschwenden, postwendend verstärkt. Ihr Wesen selbst wird ausgenutzt gleich einem sozial-emotional ausbeutbarem Rohstoff. Bei all dem beweise man gerade in diesem Verhältnis, wie tierlieb man sein. Man kennt sich aus.
Solche Widersprüche haben psychologische Dimensionen. Der Raum, den die Menschen den Pferden gewähren, jede Form der Instrumentalisierung die üblich ist und die beweist, dass Pferden in unseren Gesellschaften niemals [bis auf Ausnahmen in denen einzelne Menschen den Pferde den Schutz ihrer Interessen bemüht sich zu gewähren] irgendeine Form der Freiheit gelassen wird. Der Raum, den Menschen Pferden zugestehen scheint ein Raum zu sein, in dem sich ein Teil der Gesellschaft ihres „psychischen Mülls“ entledigt: einer Sehnsucht nach Dominanz, Kontrolle, Grenzüberschreitung und Verklärung in ihrer Beziehung zu einem Lebewesen, dass sie ganz bewusst im Stich lassen. Speziesismus wird hier nicht nur akzeptiert, sondern regelrecht inszeniert – als Ritual von Macht und fragwürdiger Zärtlichkeit zugleich.
Gesellschaftliche Wertschätzung den Tieren gegenüber anstreben
Die gesellschaftliche Stellung des Pferdes macht besonders deutlich, wie tief verwurzelt speziesistische Muster sind – und wie sehr sie mit Projektion, Verdrängung und Gewalt zusammenhängen. Es reicht nicht, auf Missstände im Training oder auf Einzelfälle von Tierquälerei hinzuweisen. Vielmehr müssen wir den gesamten Umgang mit Pferden – im Sport, in der Freizeit, in der Landwirtschaft, in der Kultur – einer grundlegenden ethischen Revision unterziehen.
Wir leben in einer Zeit, in der wir gelernt haben, mit vielen Traditionen zu brechen, wenn sie mit strukturellem Unrecht verbunden sind. Es ist schon längst überfällig das Verhältnis zu Pferden, so wie es sich nunmal gestaltet, gezielt mit zu überdenken und eine Veränderung in den typischen Einstellungen in der Gesellschaft anzumahnen, jenseits von Nostalgie, Romantisierung und Sportethos. Es geht ausdrücklich nicht um die Verbesserung eines Übels – es geht um Abschaffung von Ungerechtigkeit und echte Loyalität. Pferde brauchen keine Reitkunst, sondern die Möglichkeit sie selbst sein zu dürfen, sie brauchen keine Turniere und keine Schleifen und Preise. Wer einen echten Bezug zu Pferden hat der wird sich auch für ihre Freiheit, ihre Unversehrtheit und dem Respekt ihnen gegenüber in der Menschenwelt einsetzten, selbst wenn er dann nicht so schön „hoch zu Ross“ sitzen kann.
Wir alle, die Tiere und die Menschen, brauchen eine Gesellschaft, die endlich die Fähigkeit entwickelt, Mitlebewesen als auf ethisch-sozialer Ebene, sowie als öko-soziale Wesen dieser Welt, auf gleicher Augenhöre in aller Unterschiedlichkeit wertzuschätzen und verstehen zu lernen: Eine Gesellschaft die speziesistische Herabsetzung nicht nötig hat und die Tierobjektifizierung verlernt.
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[1] Tiersoziologie und Literatur > https://simorgh.de/about/houser-erzaehlliteratur-ist-aktivismus/ , bezugnehmend auf Tolstoi > und Dostojewski > Animal Portrayals in Literature: The Mare and Raskolnikov’s dream > https://simorgh.de/niceswine/the-mare-and-raskolnikov ; siehe auch > Animal Portrayals: in History and Literature, Pit Pony and from Germinal by Émile Zola, Chapter 5: The Horses Trompette and Bataille – die Pferde in Zolas Germinal > https://www.simorgh.de/objects/pit-pony-trompette-and-bataille/ [alle im Abschnitt genannten Links 12.05.25]
Und: Allgemein ist aus der klassischen Literatur auch Aitmatow (Kirgisien) für die wertschätzende sensible Auseinandersetzung mit der sozialen Beziehung zwischen Menschen und Pferden bekannt. Auch in der persischen Mythologie trägt die Beziehung des Erkenntnishelden Rostam mit seinem treuen Pferd Raksh eine besondere und höchst mythologische Bedeutung im Schahnahmeh. Man muss kaum erklären, in welcher Korrelation die konstruktive und positive soziale Bezugnahme zu einer destruktiv-herabwürdigenden In-Bezugsetzung in solchen Kontexten zu stehen scheint.
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Wir sprechen hier vor einem eigenen Erfahrungshintergrund. In Lothars Fall im Kontext mit seinen beiden Pferden oder bzw. equinen Gefährten, Dingo und Winterstern, für die er volle Verantwortung übernahm von A bis Z; im Fall von Gita im Kontext von Pferden, die man sehr gut kennenlernen durfte, die man aber nicht aus ihrem unterdrückerischen Umfeld herauslösen konnte. Die man tief im Herzen trägt: Rocky, Prinz und Lady.
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