Entwurf 13.05.25
Man bewundert das Pferd – und bricht ihm den Willen. Man nennt es Liebe – und meint Gehorsam.
Gesellschaften haben in der Vergangenheit mit vielen alten Gewohnheiten gebrochen und sind fortan darum bemüht, Fortschritte im Kampf gegen grausame Praktiken und Verrohung zu erzielen. Kinderarbeit, patriarchale Unterdrückung, Folter und Sklaverei sind die typischerweise bekannten Relikte einer grausamen Vergangenheit, die wir heute als theoretisch überwunden betrachten können, was unser ethisches Selbstverständnis und Begriffe Recht und Unrecht anbetrifft. Die ethische Einstellung gegenüber Tieren und wie Menschen sich zu ihnen verhalten sollten, gehört in diesen historischen Lernprozess eingeschrieben.
Der Reitindustrie, mit ihrer prämierten Brutalität und Überforderung in allen Sorten des Rennens, Military-Reiten, Springreiten, getragen von vielen auch jungen begeisterten Pferdeliebhaberinnen, muss im Lichte heutiger ethisch-moralischer Standards neu bewertet werden. Verantwortung und Vernunft müssen eingefordert werden – damit auch solche Praktiken, die im Bereich „Instrumentalisierung von Tieren“ anzusiedeln sind, Gegenstand allgemeiner öffentlicher kritischer Hinterfragung werden. Ich werfe meinen Blick hier insbesondere auf das Dressurreiten, das gerade auch im Breitensport so eine Rolle inne hat und von vielen genutzt wird, um sich ihr Pferd oder ihre Pferde „hörig“ zu machen. Ausbeutung und Unterwerfung wird hier als ein Sport betrieben, und es ist völlig egal, wie elegant diese Art der speziesistischen Herrschafts- und Dominanzrituale dabei inszeniert werden.
Kritik am Reitsport – Zusammenfassung und Fokussierung auf die Dressur
von Lothar Yegane Arani und Gita Yegane Arani
Der Reitsport ist seit Jahrhunderten tief in der menschlichen Kultur verankert – als Symbol von Prestige, Kraft und Kontrolle. Doch aus ethischer Sicht ist er grundlegend problematisch. Pferde gelten als edle, bewundernswerte Tiere – und werden dennoch in vielfältiger Weise ausgebeutet. Sie werden gezüchtet, trainiert, benutzt und nicht selten getötet, wenn sie ökonomisch oder funktional nicht mehr „brauchbar“ sind. Der Reitsport veranschaulicht eine speziesistische Haltung, in der nicht-menschliche Tiere als Mittel zum menschlichen Zweck fungieren – unabhängig von ihrem eigenen Empfinden, ihrer Würde oder ihren Bedürfnissen.
Reiten an sich – selbst in seiner scheinbar sanften Form – basiert auf Hierarchie, Kontrolle und Unterwerfung. Das Tier wird nicht gefragt, sondern gelenkt, diszipliniert und gefügig gemacht. Diese Struktur der Herrschaft spiegelt ein tiefer liegendes Machtverhältnis wider, das in vielen Sportarten mit Tieren grundlegend ist, im Reitsport jedoch besonders sichtbar wird.
In der Literatur gibt es eindrucksvolle Reflexionen dieses Verhältnisses. Bei Leo Tolstoi in Der Landvermesser, bei Dostojewski in Raskolnikows Traum oder bei Émile Zola mit dem Pferd Trompette [1] – immer wieder sind es Pferde, deren Leid exemplarisch für die Grausamkeit menschlicher Entrechtung steht. Gerade weil Pferde als fühlende Wesen in unserer Kultur so hoch idealisiert werden (im Rahmen stereotyper Zuschreibungen), offenbart ihre tatsächliche Behandlung eine tiefgreifende ethische Diskrepanz und Fragwürdigkeit.
Innerhalb des Reitsports nimmt die Dressur (als das „klassische Reiten“) eine besonders bedenkliche Rolle ein. Sie wird oft als höchste Form der Harmonie zwischen Mensch und Pferd inszeniert – als ästhetische Verschmelzung von Disziplin und Eleganz. Doch unter der Oberfläche steht eine Praxis, die systematisch auf die physische und psychische Kontrolle des Tieres abzielt. Die Bewegungsabläufe sind nicht natürlich, sondern werden durch jahrelanges, oft rigides Training erzwungen. Dokumentierte besonders offenkundige Missstände – wie der Einsatz von Sporen bis zur Verletzung, Zwangshaltungen wie der „Rollkur“ oder der Einsatz von Peitschen – zeigen deutlich, wie weit die Mittel reichen, um die „Perfektion“ der Vorführung zu sichern.
Dressur ist – ob mit sanften subtilen Zwängen oder mit augenfälligem Zwang – kein Ausdruck von Partnerschaft – sie ist ein Ritual der Kontrolle. Sie symbolisiert die vollendete Unterwerfung eines nichtmenschlichen Tieres unter menschliche Erwartungen. Dass dies als „Kunst“ oder „Sport“ gefeiert wird, wirft grundlegende Fragen auf: über unseren moralischen Umgang mit Tieren, über Macht und Ästhetik – und darüber, weshalb Menschen heute noch meinen, solche Praktiken seien als kulturelles Erbe zu verteidigen.
Die Tatsache, dass etwas eine lange Tradition hat, ist schließlich kein ethisches Argument für seine Fortführung.
Unsichtbarkeit, emotionale Ausbeutung und gesellschaftliche Verdrängung
Aus tierrechtlicher Sicht nimmt das Pferd in der Hierarchie menschlich dominierter sozialer Verhältnisse im Bezug auf Tiere, eine besonders ambivalente Stellung ein. Einerseits gelten Pferde als Repräsentanten für Vorstellungen von tierlicher Freiheit, Stärke, Sensibilität und Schönheit – andererseits ist die Realität von Pferden von Ausbeutung, Vernachlässigung, Gewalt und von Menschen billigend in Kauf genommener Tötung geprägt. Diese Diskrepanz ist nicht nur ethisch aufschlussreich, sondern auch psychologisch bemerkenswert.
Pferde sind von Speziesismen in einer vielschichtigen Weise betroffen, die über körperliche Gewalt hinausgehen und die vielschichtig und systemisch innerhalb tierobjektifizierender Gesellschaften operieren und die bis zur schwierigen Frage ob für Pferde ein natürlicher Tod möglich ist – eine Bestattung großer Tiere liegt bislang noch (bis auf wenige Ausnahmemöglichkeiten) in weiter Ferne. Es gibt Formen der emotionalen Misshandlung, in denen Menschen ihr Bedürfnis nach Nähe, nach Kontrolle oder Projektionsfläche auf das Tier übertragen – oft unter dem Deckmantel vermeintlicher „Tierliebe“. Menschen sind besonders stolz, so ein großes Tier als „Freund“ und „Besitz“ deklarieren zu können. Auch sexualisierte Gewalt an Pferden, so schwierig dieser höchst abgründige Bereich zu thematisieren ist, kommt immer wieder vor und gehört mit zur Schattenseite der Folge von psychologischer Machtstruktur. Obgleich dieses Thema unter Pferdefreunden verdrängt oder tabuisiert wird, das Problem lässt sich nicht umgehen und muss adressiert werden.
Die besonderen Verdrängungsleistung, mit denen wir es zu tun haben beim Thema Pferde und Speziesismus, spiegelt sich auch darin, dass selbst viele vegane oder tierethisch engagierte Menschen selten über die weltweite Schlachtung von Pferden sprechen. Dabei ist die Ermordung von Pferden in Schlachthäusern und die Verarbeitung ihrer Körperteile zum Verzehr „Normalität“.
Zahllose Tiere erleiden im Sport oder durch Vernachlässigung im Kontext mit ihrer Ausbeutung furchtbare Schicksale, über die niemand spricht. Dass gerade diese Tiere, die kulturell oft von Menschen in einer Art Zurschaustellung scheinüberhöht und scheinverklärt werden, zugleich solchen Gräueln ausgesetzt sind, zeigt die ganze Tiefe der kognitiven Dissonanz, mit der wir ihre Realität ausblenden.
Diese Dissonanz äußert sich eben gerade in der Art und Weise, wie Pferde romantisiert werden: man glaubt, sie „verstehen“ zu können, ihnen irgendwelche „zuflüstern“ zu müssen, weil man sie manipulieren möchte – und findet es dabei völlig in Ordnung, dass all solche Kniffe dem Zweck dienen, sie gefügig zu machen und vorzuführen. Hier vereinen sich emotionale Aneignung und funktionale Herabsetzung auf besonders perverse Weise. Man beutet sie emotional aus zu Therapeutischen Zwecken um die menschliche Seele zu heilen, während man ihre Traumata ohne nur einen Gedanken daran zu verschwenden verstärkt. Ihr Wesen selbst wird ausgenutzt gleich einem Rohstoff. Bei all dem beweist man gerade in diesem Verhältnis, wie tierlieb man ist. Man kennt sich aus.
Solche Widersprüche haben psychologische Dimensionen. Der Raum, den die Menschen den Pferden gewähren, jede Form der Instrumentalisierung die üblich ist und die beweist, dass Pferden in unseren Gesellschaften niemals [bis auf Ausnahmen in denen einzelne Menschen den Pferde den Schutz ihrer Interessen bemüht sich zu gewähren] irgendeine Form der Freiheit gelassen wird – scheint ein Raum zu sein, in dem sich ein Teil der Gesellschaft ihres „psychischen Mülls“ entledigt: der Sehnsucht nach Dominanz, Kontrolle, Grenzüberschreitung und Verklärung. Speziesismus wird hier nicht nur akzeptiert, sondern regelrecht inszeniert – als Ritual von Macht und falscher Zärtlichkeit zugleich.
Gesellschaftliche Wertschätzung den Tieren gegenüber anstreben
Die gesellschaftliche Stellung des Pferdes macht besonders deutlich, wie tief verwurzelt speziesistische Muster sind – und wie sehr sie mit Projektion, Verdrängung und Gewalt zusammenhängen. Es reicht nicht, auf Missstände im Training oder auf Einzelfälle von Tierquälerei hinzuweisen. Vielmehr müssen wir den gesamten Umgang mit Pferden – im Sport, in der Freizeit, in der Landwirtschaft, in der Kultur – einer grundlegenden ethischen Revision unterziehen.
Wir leben in einer Zeit, in der wir gelernt haben, mit vielen Traditionen zu brechen, wenn sie mit strukturellem Unrecht verbunden sind. Es ist schon längst überfällig das Verhältnis zu Pferden gezielt mit zu überdenken und eine Veränderung in den typischen Einstellungen in der Gesellschaft anzumahnen – jenseits von Nostalgie, Romantisierung und Sportethos. Es geht ausdrücklich nicht um die Verbesserung eines Übels – es geht um Abschaffung von Ungerechtigkeit und echte Loyalität. Pferde brauchen keine Reitkunst, sondern die Möglichkeit sie selbst sein zu dürfen, sie brauchen keine Turniere und keine Schleifen und Preise. Wer einen echten Bezug zu Pferden hat der wird sich auch für ihre Freiheit, ihre Unversehrtheit und dem Respekt ihnen gegenüber in der Menschenwelt einsetzten, selbst wenn er dann nicht so schön hoch zu Ross sitzen kann. Wir alle, die Tiere und die Menschen, brauchen eine Gesellschaft, die endlich die Fähigkeit entwickelt, die anderen Mitlebewesen als auf ethisch-sozialer Ebene gleichwertig in aller Unterschiedlichkeit zu begreifen und wertzuschätzen. Eine Gesellschaft die speziesistische Herabsetzung nicht nötig hat und Tierobjektifizierung verlernt.
—
[1] Tiersoziologie und Literatur > https://simorgh.de/about/houser-erzaehlliteratur-ist-aktivismus/ , bezugnehmend auf Tolstoi > und Dostojewski > Animal Portrayals in Literature: The Mare and Raskolnikov’s dream > https://simorgh.de/niceswine/the-mare-and-raskolnikov ; siehe auch > Animal Portrayals: in History and Literature, Pit Pony and from Germinal by Émile Zola, Chapter 5: The Horses Trompette and Bataille – die Pferde in Zolas Germinal > https://www.simorgh.de/objects/pit-pony-trompette-and-bataille/ [alle im Abschnitt genannten Links 12.05.25]
Und: Allgemein ist aus der klassischen Literatur auch Aitmatow (Kirgisien) für die wertschätzende sensible Auseinandersetzung mit der sozialen Beziehung zwischen Menschen und Pferden bekannt. Auch in der persischen Mythologie trägt die Beziehung des Erkenntnishelden Rostam mit seinem treuen Pferd Rashn eine besondere und höchst mythologische Bedeutung im Schahnahmeh. Man muss kaum erklären, in welcher Korrelation die konstruktive und positive soziale Bezugnahme zu der destruktiv-herabwürdigenden In-Bezugsetzung in solchen Kontexten steht.
—
Wir sprechen hier vor einem eigenen Erfahrungshintergrund. In Lothars Fall im Kontext mit seinen beiden Pferden oder bzw. equinen Gefährten, für die er volle Verantwortung übernahm von A bis Z. Im Fall von Gita im Kontext von Pferden, die man sehr gut kennenlernen durfte, die man aber nicht aus ihrem unterdrückerischen Umfeld herauslösen konnte.