Inklusive digitale Werkräume (1)

 

Kommunikation und Kommunikationsrechte als Tool zum selbstbestimmten Leben. Unterstützte Kommunikation und erweiterte sprechemanzipative Erwägungen

Gruppe Messel > inklusiver digitaler Werkraum > anti-ableistische Tierrechtsgemeinschaft, Beiträge, 27.12.2023

Verschiedene kurz angedachte Beiträge

  1. Missverständnisspielraum
  2. Kommunikationsspiel
  3. Geplanter Austausch auf der Peer-Ebene zum inklusiven Wohnen als UK-Nutzer*in
  4. Sprechemanzipation vorantreiben und Unterstützte Kommunikation frei und spontan als Tool nutzen
  5. Sprach-Anarchismus
  6. Kommunikationskomplexität
  7. Wer dominiert Situationen
  8. Dichterisches über Ableismus und Kommunikation
  9. Ableismus im Ableismus
  10. Selbstbestimmt Leben und das Leben in einer WG: Eine Situation, mit sog. qualifizierten Assistenten (Sozialarbeitern) und noch nicht so ganz gelungenem inklusivem Wohnen. Eine anekdotische Beschreibung von normalisiertem Ableismus
  11. Linktipp spezifisch zu Rett, aber betrifft auch die UK-Nutzung allgemein

  1. Missverständnisspielraum

Ein Missverständnisspielraum ist wichtig und sollte eingeplant werden. Wenn Missverständnisse zwischen unterschiedlich Kommunizierenden entstehen – ein UKler, der nicht fließend MINSPEAK [1] nutzen kann zum Beispiel, und ein die-normalisierte-Sprache-Sprechender – sollte das beide Gesprächspartizipanten nicht entmutigen oder dazu führen, dass das Auftreten von Missverständnisses überbewertet wird.

Stattdessen sollte die Möglichkeit des Auftretens von Missverständnissen bewusst in den wechselseitigen Kommunikationsfluss mit gegenseitigem Verständnis und klärend eingebaut werden.

[1] Was ist MINSPEAK: MINSPEAK ist eine Software, die auf der linguistischen Ebene mit semantischer Verdichtung arbeitet > https://en.wikipedia.org/wiki/Semantic_compaction [Zugriff 24.12.23]

Eine Info zur Entwicklung des digitalen MINSPEAK-Sprachschemas durch den amerikanischen Linguisten Bruce R. Baker > https://minspeak.com/minspeak-history/ [Zugriff 24.12.23]


  1. Kommunikationsspiel

Dieses Spiel kann mit jedem gespielt werden, der Lust und die Geduld hat gründlich zu erfragen oder/und erfragen zu lassen. Es funktioniert wie „ich sehe was, was Du nicht siehst“, nur geht es nicht um ein gesehenes Objekt in Sehreichweite, sondern der eine Spielpartner erdenkt sich einen Gegenstand oder ein Lebewesen, und der andere oder die anderen müssen nun durch kluge und eingrenzende Fragen herausbekommen, an welchen Gegenstand oder an welches Lebewesen hier gedacht wird. Dieses Spiel klärt das Rezeptionsverhältnis zwischen beiden Spielerparteien


  1. Wir planen einen Austausch auf der Peer-Ebene zum Thema > inklusiv Wohnen als UK-Nutzer*in

Überlegungen anstellen und Austausch führen werden wir demnächst zu folgenden Themen im Kontext spezifisch mit Barrierenerfahrungen und Diskriminierungserfahrungen von Nutzern Unterstützter Kommunikation – insbesondere derer UK-Nutzer, die Tools nicht fließend nutzen können oder möchten, und denen es auch zugleich aber auch an einer gut kooperierenden „Übersetzungsassistenz“ mangelt um ihre immernoch viel zu marginalisierten Problematiken mehr ins allgemeine Bewusstsein in der Gesellschaft zu rücken.

Unsere Fragen winden sich um: Independent Living, Selbstbestimmtes Leben, im durch die Behindertenrechtsbewegung angedachten Sinne; Assistenz und Kommunikation; inklusives Wohnen und Kommunikationsrechte in der Praxis gemeinschaftlichen lebens.

Zu diesem weitläufigen Themenkomplex planen wir uns auf der Peer-Ebene infomäßig mit anderen Aktivist*innen auszutauschen. (Ein Update wird demgemäß folgen.)


  1. Sprechemanzipation vorantreiben und Unterstützte Kommunikation frei und spontan als Tool nutzen

Punkte, die wir zum Thema Kommunikation und Kommunikationsrechte festhalten und überdenken möchten:

  • Hypersensible Kommunikation und anarchistische Kommunikation
  • Kommunikativer Fluss

Der Talker in der Nutzung von unterstützter Kommunikation (UK) als Instrument

Eine Diskrepanz zwischen Dingen, die man denkt und kommuniziert auf der „inneren Gedankenebene“ und der expressiven Ebene im Ausdruck mit den Gesprächspartnern und wie man das Arbeiten mit dem Talker in Hinsicht auf diese Kommunikationsaspekte erlebt.

Mögliche Frage: Wird bei mir als UK-User wahrgenommen, dass ich mir meine Gedanken mache und welche Rolle der Ausdruck und die beidseitig wahrgenommene Gesprächssituation für mich im Kommunikationsfluss spielt (weitere Faktoren … )


  1. Sprach-Anarchismus

Sprache: Wenn man Unterstützte Kommunikation im Sinne des MINSPEAK-Systems (der semantischen Verdichtung) anarchisch verwende möchte, kann das nicht heißen, dass man dann „raus“ (…) ist. Welche grundsätzliche Fragen werfen sich auf in Hinsicht auf das Thema: Kommunikation als freies expressives Medium?

Weitere Aspekte der eigenen Sprache > … und dass dann möglicherweise – und das wäre abträglich für die gemeinschaftliche Kommunikationsebene – Gedanken, Ausdrucksebenen der eigenen Gedanken, die eigenen Mittel des Ausdrucks > als weniger „wertig“ im Sinne von Sprache eingestuft werden von manchen Gesprächspartnern, als es vergleichsweise bei der Einstellung gegenüber anderen Sprach- und Sprechsystemen der Fall ist, da diese über eine allgemein anerkannte linguistische Systematik verfügen. Wo steht der eigene Ausdruck? Die anarchische Nutzung von externen Kommunikationsmedien zur Unterstützung des freien Ausdrucks, wenn gewünscht?

Eine Aberkennung von Sprechvielfalt und sprachgestalterischer Freiheit darf nicht stattfinden, wenn Restriktion und Ableismus kein Raum zur Diskriminierung geschaffen werden soll.

Die Grundlage, die wir benötigen ist immer wieder ein umfassendes und offenes Sprachverständnis seitens aller beteiligten Instanzen in kommunikativen Prozessen.


  1. Kommunikationskomplexität

Eigentlich haben UK-ler eine riesige Sprachpalette, nicht weil die semantische Verdichtung (und eine quasi gedankentechnische „verdichtete Satzbildung“) einen Teil des Ganzen oder das Ganze bildet (auf das alles Ausdrucksmäßig in der Sätzebildung und Inhalts-vermittlung aufbaut), sondern das System Sprache und das System Kommunikation selbst, beide müssen hierbei anders, sensibel, umfassend, neu und offen betrachtet werden auf Seiten der Ausdrucks von Gedanken aber unbedingt auch auf der Seite der Rezipienten von komplexen Sprach- und Sprechsystemen, die ein weiteres Licht auf Kommunikationskomplexität zulassen.


  1. Wer dominiert Situationen

Die Gestaltung gemeinschaftlicher Situationen – die beispielweise im inklusiven Leben mit Assistenzbedarf auf alltäglicher Ebene unvermeidbar sind – wird in häufig bewusst und in patronisierender und absichtlicher Weise zu stark dominiert vom „Rhythmus“ derer, die sich als „normalsprechende“ Verstehen, beispielsweise mit der Auswahl von „dominierenden Mehrheitsthemen und -interessen“ als im Mittelpunkt stehen sollend, Betrachtungsweisen, über die mehr mehrheitliche Übereinkünfte bestehen oder die mit mehrheitlicher Dominanz einfach durchgesetzt werden können. Gleichzeitig wird die Anredesituation häufig gelenkt gestaltet und der anders Sprechende „in Situationen hineinbefördert“: Gefahrenmomente sind zu wenig Fragen zur Bildung von gegenseitigen Kommunikationsbrücken beispielsweise. Eingreifen sollte ein Sprachassistent in Momenten in denen eine Anrede stigmatisierend gestaltet ist, z.B.


  1. Dichterisches über Ableismus und Kommunikation

Ein Gedankengedicht:

Willen, und Willen und Sprache im Kontext.

Willen, Kompulsion und Sprache – k

Beiläufigkeit, Wiederholung und Sprache – ä

Wille, nicht als sterile Kognition – h

Wille nicht als ein bloßes selektives Ausschlussverfahren – ..k – n.


  1. Ableismus im Ableismus

„Als sei nichts“ produzieren sich manche Menschen innerhalb marginalisierter Gruppen gegenüber anderen, triangulieren dabei indem sie andere in ihre geschaffenen Szenarien als weitere proaktive Akteure hineinziehen.

Eine Situation in der „sich als normalsprechend Verstehende“ („vermeintliche Normalsprechende“) jemanden innerhalb einer Gruppe beHinderter Menschen zuwenden und einer Person zujohlen: „mach mal dies und das“, dabei lachen und wenig humorvolle „Witze“ machen. Das ableistische Merkmal in der Situation ist, dass sie auf Handlungen in defizitärer Weise anspielen, gestisch-verbal die Situation durchdringen (…), darauf hinweisen, dass eine adressierte Person dieses und jenes „ja nicht machen kann“. Es soll lustig sein, darauf in der Gruppe hinzuweisen, dass die Person somit in eine hilflose Situation gebracht wird, in der sie ihre BeHinderung offensichtlich als ein Defizit wahrnehmen soll. Wenn sie sich dazu ausdrückt wird diese Person teils ignoriert, teils wird sie ignoriert und ihr sich Ausdrücken „weggelacht“. Sie spricht anders.

Ein zweiter Sprechbehinderter reagiert und ist bemüht, die Partei der anderen Person mit Sprechbehinderung zu ergreifen. Das besonders schwerwiegende an solche einer Diskriminierungserfahrung ist, dass sich Menschen mit unterschiedlichen BeHinderungen hier im Spannungsfeld miteinander bewegen, und das Sprechen so von einem Barrierethema für Sprechbehinderte ‚mal wieder‘ zu einer untragbaren Diskriminierungserfahrung wird, da selbst in Gemeinschaften von Menschen mit BeHinderung Sprachvielfalt und Barriere noch nicht zu einer allgemeinen Sensibilisierung für das Thema geworden zu sein scheint: Auch hier dominieren Menschen auf der Ebene von ungerechten Konventionen, obgleich sie selbst Formen von ableistischer Abwertung in der Gesellschaft erfahren und es für alle grundsätzlich ein ‚Dauerthema‘ darstellt.


Ein Freund aus Berlin schildert:

  1. Selbstbestimmt Leben und das Leben in einer WG: Eine Situation, mit sog. qualifizierten Assistenten (Sozialarbeitern) und noch nicht so ganz gelungenem inklusivem Wohnen. Eine anekdotische Beschreibung von „normalisiertem Ableismus“

Ich als sog. einfacher Assistent teile eine > normalisierende und verharmlosende Haltung zum Ausschluss aus einer Kommunikationssituation nicht, bei der der UK-User kommunikationstechnisch marginalisiert wird.

Folgendes Szenario erlebten der Assistenznehmer und ich als Assistenzgeber in der Wohngemeinschaft des Assistenznehmers.

Eine typische häufig zu beobachtende Dominanzproblematik, die sich ergeben kann zwischen Gesprächsteilnehmern die „vermeintlich ‚normal‘ sprechen“ und Sprechbehinderten UK-Nutzern wird nicht berücksichtigt.

In dem spezifischen Fall wird eine gemeinsame Wohnsituation mit dem Sozialarbeiter besprochen. Dabei dominiert der WG-Mitbewohner mit Lernbehinderung, der (aber) „normal sprechen kann“, während über den Kopf des sprechbehinderten UK-Nutzers hinweg entschieden wird und überhaupt kommuniziert wird, wenn es um administrative WG-Angelegenheiten geht.

Als Assistent agiere ich auch als Sprachassistent im Teilhabeinteresse des Assistenznehmers. Ich beanstande den Ausschluss des Assistenznehmers aus dem Gesprächsvorgang in der konkreten Situation.

Zwei Personen geben situativ den Takt an in einer Situation, in der sich 4 Personen befinden, und die Situation wird auf meine Kritik hin so skizziert, als könne die Angelegenheit nicht primär mit dem sprechbehinderten Assistenznehmer besprochen werden. Sozialarbeiter und der lernbehinderte Klient zeigen sich über ihr ungeprüftes Vorurteil einig, dass der sprechbehinderte Assistenznehmer „doch sicher gar kein Interesse“ an so lästigen organisatorisch-finanziellen Problemen wie einer Nebenkostenabrechnung der gemeinsam bewohnten Wohngemeinschaft habe. Der lernbehinderte Klient agiert und wird als Hauptansprechpartner während der ganzen „WG-Besprechung“ adressiert vom Sozialarbeiter. Meines Eindruckes nach wegen der Bemühung seitens des Sozialarbeiters zu Unterstützung von Teilhabe, während aber beim sprechbehinderten Assistenznehmer – allein aufgrund seiner Sprechbehinderung und sprachlicher Divergenzen zu „normal Sprechenden“ – automatisch davon ausgegangen wird, dass eine Teilhabe in solche Belangen gar nicht gewünscht sei. Eine schwerwiegend ableistische Situation, die keinesfalls kommunikationsinklusorisch gelöst ist.

Kommunikativ wird auf arbiträre und somit gleichermaßen diskriminierende Weise geriert es gäbe „Kompetenzthemen“, die nur den „Normalsprechenden“ vorbehalten seien. Der sprechbehinderten Person wird vermittelt, sie sei „nicht absprechbar genug“ und man könne und brauche sie auch gar nicht erst genauer fragen, weil der situative Takt in ausschließender Weise einfach vorgegeben wird.

Auf meine nachdrückliche allgemein und konkret gefasste Beschwerde hin, entgegnet mir der Sozialarbeiter, dass der sprechbehinderte Assistenznehmer „doch lächeln“ würde und er selbst auch „keinen Bock auf so Papierkram hätte“, dem sprechbeHinderten Assistenznehmer würde es bestimmt auch so gehen, usw. usf.

Dass der sprechbehinderte Assistenznehmer zum ersten Mal selbstständig wohnt und die Teilhabe an organisatorischen Dingen sehr wohl von ihm gewünscht ist, darf oder soll ich nicht vortragen – meine Assistenzrolle wird komplett nullifiziert. Dieser Aspekt wird einfach abgetan.

Sämtliche Entscheidungen über die ganze Gesprächskonstellation und Situation wird bestimmt und zu einem gewünschten Gesprächsausgang hin von zwei Partizipanten einer Situation dominiert – bei einer Besprechung, die als WG-Besprechung angedacht war.

rev. 11.04.24


Aktueller Linktipp

  1. Linktipp spezifisch zum Rett-Syndrom, aber betrifft auch die UK-Nutzung allgemein

Die Communication Webinars 2022 der Ontario Rett Syndrome Association sind alle so spannend, unbedingt reinschauen …

https://rett.ca/news/communication-webinars/2022/ [Zugriff 27.12.23] (englischsprachig) #ableismus #kommunikationsrechte #barrierefreiheit

Werden definitiv einige Inhalte für unsere Seiten aufgreifen.

 

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