Das Emotive im Tierrechtsdiskurs

Thomas G. Kelch

Titel des Originals: ’The Emotive in Animal Rights Discourse,’ erschienen im amerikanischen Magazin SATYA in der Ausgabe vom Mai 2000. Übersetzung aus dem Amerikanischen: Palang Latif/GYAM. Mit der freundlichen Genehmigung von des SATYA-Magazins.

In unserem westlichen Denken sind Rationalität und nüchterne Überlegung die Talismane der Wahrheit, der heilige Gral aller vernünftigen Argumente. Das Emotive ist gefährlich, ‚feminin’ und irrational, ein Feind der Wahrheitstreue, ein Übel, das um jeden Preis vermieden werden soll. Und so verhält es sich auch in der Diskussion über Tierrechtsfragen, in der Moralphilosophie und in der Rechtswissenschaft. Die meisten ernsthaften wissenschaftlichen und juristischen Autoren, die sich mit Tierrechten befassen, meiden Diskussionen über Mitgefühl, Fürsorglichkeit und Empathie, und handeln stattdessen ausschließlich mit dem rationalen Argument und kalter Logik. In der Tat bauen Autoren ihre Diskussion häufig mit Selbstverdammnis auf die Tatsache, dass ihre Positionen nicht aus dem Emotionalen rühren, sondern allein aus dem trockenen und geordneten Bereich der Vernunft.

Das Schisma im moralischen Denken zwischen dem Emotiven (für den gegenwärtigen Zweck ist damit Mitgefühl, Fürsorglichkeit und Empathie gemeint) und dem Rationalen mag Immanuel Kant, dem deutschen Philosophen des späten 18. Jahrhunderts zu verdanken sein. In Kants Moraltheorie begründet die Pflicht die Moralität, und Pflichten werden allein durch die Anwendung von Vernunft erkannt. Auf Kants moralischem Schlachtfeld weht die stolze Flagge der Vernunft über dem kategorischen Imperativ und allen respektierenswerten moralischen Axiomen. Emotionen und Gefühle bieten keine Grundlage. Im gegenwärtigen Rechtssystem ist die Situation nicht anders; das Emotive hat keine Beeinflussungsmöglichkeit in Hinsicht auf Fragen des Rechtes, gleich ob das Diskussionsthema menschliche oder nichtmenschliche Belange sind.

Angst und Dichotomie

Ich nehme an, dass es einen Grund gibt, sich dafür zu schämen den Anspruch zu erheben, dass Tiere die Träger von Rechten sein sollten, weil „ich Empathie gegenüber Tieren empfinde“ oder „ich eine mitfühlende Person bin“. Der Grund ist selbstverständlich die Angst, dass man nicht ernst genommen wird, dass man als ein schwammiger Sentimentalist, dessen Argumente der Beachtung nicht wert sind, eingestuft wird. Aber ist es, – abgesehen von diesen politischen Bedenkenspunkten – wirklich notwendig, dass die ernsthafte Diskussion über Tierrechtsthemen von den Gefühlen des Mitgefühls, der Fürsorglichkeit und der Empathie getrennt werden müsste? Gefühle, die für die meisten von uns zu den Gründen gehören warum wir daran glauben, dass Tiere Träger von moralischen Rechten sind, und Träger von legalen Rechten sein sollten.

Was ist unsere Angst vor dem Emotiven? Ich glaube es ist, dass im westlichen Denken Vernunft und Emotion als dichotom und sich gegenseitig ausschließend betrachtet werden. Vernunft hat unvoreingenommen, selbstlegitimierend und objektiv zu sein. Das ist das richtige Zeug für Argumente, ob sie über Tierrechte oder irgendein anderes Thema sind. Der Weg der Emotionen auf der andere Seite ist voller Gefahren. Emotionen bedeuten gefährliche Ausbrüche von Rage, von Eifersucht und dergleichen. Sie sind unkontrolliert, subjektiv und vorurteilsbeladen. Gedanken dieser Natur sollten doch keine ernsthaften Diskussionen durchdringen.

Ich glaube nicht, dass diese polarisierte Sicht über Vernunft und die Emotionen richtig ist. Die Vernunft selbst kann uns in die Irre führen. Wir können, obwohl wir Vernunft anwenden, unangemessen leichtgläubig oder übertrieben skeptisch sein. Wir können Autorität in unangemessener Weise als Fakt akzeptieren. Und außerdem sind Emotionen nicht in typischer Weise unkontrollierte Ausbrüche von Rage oder Böswilligkeit; stattdessen sind sie normalerweise die viel eher vagen und diffusen Gefühle, die den unvermeidbaren Hintergrund jeden Augenblickes unseres Lebens bilden. Ist es überhaupt möglich Vernunft von Emotion zu trennen? Ist es nicht so, dass in all unseren Aktivitäten, ob sie die Anwendung von Vernunft mit beinhalten oder nicht, irgendein Emotionselement vorhanden ist? In der Tat muss ich einiges an Emotionen haben, um motiviert zu sein etwas zu tun. Vernunft ist inaktiv. Es ist Emotion die uns bewegt. Es ist eine subtile Mischung von Vernunft und Emotion, die wir in unseren Leben leben. Sie koexistieren in unserem Kranium und können nicht wie Weizen von der Spreu getrennt werden.

Den Anspruch auf Legitimität erheben

Selbst in unserer westlichen Tradition können wir Stimmen finden, die Anspruch auf Legitimität für das Emotive im moralischen Denken erheben. David Hume zum Beispiel schrieb, dass Emotionen die Quellen allem moralischen Denkens sind, und dass – wir können dies Versuchen – wir die Richtigkeit einer moralischen Proposition nicht allein durch [die rationale] Vernunft ermitteln können. Für Hume existiert tatsächlich ein angeborener Moralsinn, der unsere Wahrnehmungen von Fehlern und Tugenden in der Welt determiniert. Auch Arthur Schopenhauer sah Mitgefühl, etwas das er als ein Element der menschliche Natur selbst betrachtete, als die Wurzel der Moralität. Moralität wird somit gefühlt, nicht gewertet.

Außerhalb dieser Tradition gibt es auch andere, die der Meinung sind, dass es einen Platz für das Emotive im Moraldiskurs gibt. Am bekanntesten sind die Feministinnen. Obwohl das feministische Denken dazu neigt traditionellen Konzepten von Rechten ablehnend gegenüberzustehen (das beinhaltet nicht, dass feministische Denkerinnen „Rechtsdebatten“ meiden), ist es ein Grundsatz des Feminismus, dass Mitfühlsamkeit, Fürsorglichkeit und Empathie Grundlagen der moralischen Welt sind.

Aber sicher sollte das Emotive nicht ein Teil der Gesetzgebung und unseres Rechtsverständnisses ausmachen. Im mindesten hier müssen wir allein durch die Vernunft geleitet sein. Wieder glaube ich, dass wir uns hierin täuschen. Emotion spielt bereits eine Rolle in der Rechtsprechung. Wenn wir Opfern ihr Recht erteilen, drücken wir dadurch unser Mitgefühl für den Verlust des Opfers aus. Wenn wir von Wiedergutmachung als einem Grund bei der Verhängung von Strafmaßen für Kriminaltaten sprechen, drücken wir unseren Zorn und unsere Entrüstung dem Straftäter gegenüber aus. Wir reduzieren Strafmaße für Straftaten die infolge übersteigerter Emotionen und mentaler Störungen begangen wurden. Selbst im Besitzrecht schützen wir emotional behaftete Gegenstände, indem wir für spezielle Formen der Wiedergutmachung beim Verlust oder dem Schaden an Erbgegenständen aus der Familie sorgen.

Diese Liste könnte ausgedehnt werden, aber es reicht festzustellen, dass das Emotive bereits eine Rolle in unserer Rechtsprechung spielt. Und so sollte es auch sein wenn wir über Fragen moralischer und legaler Rechte für Tiere sprechen. Es ist normal für uns Mitgefühl für Tiere zu empfinden und Empathie für ihr Leid. Irgendwie – durch die Evolution oder durch die Art und Weise in der wir unsere Kinder großziehen oder einer Kombination dieser beiden Faktoren – sind diese Gefühle ein normaler Teil der menschlichen Natur, der nicht von unserer Fähigkeit zur Vernunft separiert gehandhabt werden kann. Das soll nicht heißen, dass wir Vernunft ablehnen sollen. Sondern wir müssen anerkennen, dass das Emotive nicht von der Vernunft weganalysiert werden kann, und dass unsere Emotionen legitime Gründe für moralische und rechtliche Argumente sein können. Im Bereich der Tierrechte sollten unsere Emotionen, unsere Gefühle des Mitgefühls, der Fürsorge und der Empathie, daher als ernsthafte Gründe zur Erteilung von moralischen und legalen Rechten für Tiere zählen.

Thomas G. Kelch ist Professor für Rechtwissenschaften an der Whittier Law School in Costa Mesa, Kalifornien, USA. Dieser Artikel basiert teilweise auf einer detaillierteren Behandlung dieser Frage, die der Autor veröffentlich hat in dem Artikel: „The Role of the Rational and the Emotive in a Theory of Animal Rights“ in: 27 Boston College Environmental Affairs Law Review 1 (2000).

Dieser Artikel wurde im Original im Mai 2000 im amerikanischen Magazin Satya veröffentlicht. Satya war ein monatlich erscheinendes Magazin, das den Vegetarismus, Environmentalismus, die Tierverteidigung und soziale Gerechtigkeit unterstützt und gefördert hat. Auf Archive.org: https://web.archive.org/web/20010509143020/https://satyamag.com/ (Zugriff 20.01.2023)

Links > Thomas G. Kelch:

A Short History of (Mostly) Western Animal Law Part I, Animal Law Review, Vol. 19, 2012
A Short History of (Mostly) Western Animal Law Part II, Animal Law Review, Vol. 19, 2013
> Animal Law Reveiw
Globalization and animal law : comparative law, international law and international trade, 2011

Veröffentlichungen von Thomas G: Kelch im Bereich der Tierrechtswissenschaft:

Globalization and Animal Law (2d ed.) (Kluwer Law International 2017)
Toward Universal Principles for Global Animal Advocacy, 5 TRANSNATIONAL ENVIRONMENTAL
LAW 81 (2016)
Thomas G. Kelch, CITES, Globalization, and the Future of Animal Law, WHAT ANIMAL LAW CAN
LEARN FROM ENVIRONMENTAL LAW 269-92 (Randall Abate, ed. 2015)
Cultural Solipsism, Cultural Lenses, Universal Principles and Animal Advocacy, 31 PACE ENVTL. L.
REV. 403 (2014)
A Short History of (Mostly) Western Animal Law Part I, 19 ANIMAL LAW 23 (2013)
A Short History of (Mostly) Western Animal Law Part II, 19 ANIMAL LAW 347 (2013)
The WTO Tuna Labeling Decision and Animal Law, 8 J. ANIMAL & NAT. RESOURCES L.121 (2012)
Animal Experimentation and the First Amendment, 22 WESTERN NEW ENGLAND L. REV. 467 (2001)
The Role of the Rational and the Emotive in a Theory of Animal Rights, 27 BOSTON COLLEGE ENV.
L. REV. 1 (1999)
Toward a Non-Property Status for Animals, 6 N.Y.U. ENV. L.J. 531 (1998)

Der Text ist enthalten in > E-Reader: Gruppe Messel,
Jahrgang 5, Nr. 2 (2023), S.22 > https://d-nb.info/1278741399 > Archivobjekt > https://d-nb.info/1278741399/34 > https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:101:1-2023012019425269610192

Weitere Autor*innen, die wir für unser Tierrechtsprojekt gefeatured haben, finden Sie hier >  https://simorgh.de/overview/autor_innen/ und in unseren Netzpublikationen (E-Reader).

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