Pflege und Persönliche Assistenz – der Unterschied

Pflege und Persönliche Assistenz – der Unterschied

Ableismus gemeinsam erkennen und bekämpfen

Assistenz und Pflege sind nie neutral: Sie stehen mitten in gesellschaftlichen Macht- und Diskriminierungsverhältnissen. Ein zentrales Problem ist Ableismus – also die Erwartung, dass Menschen mit Behinderung sich an eine vermeintliche Norm anpassen sollen.

Ableismus zeigt sich zum Beispiel:

  • wenn jemandem abgesprochen wird, selbst zu wissen, was er oder sie will,
  • wenn standardisierte Abläufe wichtiger genommen werden als individuelle Bedürfnisse,
  • wenn Assistenznehmende als „Objekte von Hilfe“ gesehen werden,
  • oder wenn Assistenzgebende auf eine bloße „Funktion“ reduziert werden.

Darum reicht es nicht, nur zwischen Pflege und Assistenz zu unterscheiden. Es braucht ein Bewusstsein, dass beide Bereiche aktiv Ableismus reproduzieren können, wenn wir ihn nicht gemeinsam konfrontieren. Angehörige, Mitarbeitende und Assistenznehmende müssen sich hier solidarisch zusammentun: zuhören, kritisch reflektieren, mitdenken und aktiv Barrieren abbauen.

Historischer Hintergrund

Die Idee der Persönlichen Assistenz ist eng mit der Behindertenrechtsbewegung verbunden. In den 1970er Jahren trafen sich in den USA junge behinderte Menschen in den Crip Camps. Dort entstand das Bewusstsein: Das Problem ist nicht die Behinderung selbst, sondern die gesellschaftlichen Barrieren. Aus diesen Erfahrungen entwickelte sich die Forderung nach Selbstbestimmung und gegen institutionalisierte Kontrolle – ein Kernprinzip, das bis heute trägt.

Pflege

  • Schwerpunkt: Grundversorgung – Körperpflege, Essen, Medikamente, Mobilität.
  • Strukturen: Dienstpläne, Standards, Abläufe.
  • Oft entscheidet das System mit, wie und wann Unterstützung stattfindet.

Persönliche Assistenz

  • Schwerpunkt: Selbstbestimmung – die unterstützte Person sagt, wer, wann und wie hilft.
  • Umfasst nicht nur – und nicht zwingend – Pflege, sondern alle Aspekte des Alltagslebens.
  • Ziel: nicht nur Sicherheit, sondern Teilhabe am Leben – und zwar nicht als Anpassung, sondern als Realisierung eigener Mitgestaltung von Gesellschaft.

Ein verbindender Gedanke

Der Sozialpsychiater Klaus Dörner hat betont, dass auch Pflege so gestaltet werden sollte, dass sie stärker wie Assistenz funktioniert. Er verwies besonders auf die Möglichkeiten, die in ambulanten Kontexten gegeben sind. Unterstützung muss sich an den Wünschen der unterstützten Person orientieren. Es geht also nicht um zwei getrennte Welten, sondern darum, dass Unterstützung insgesamt selbstbestimmter und weniger ableistisch gedacht werden muss.

Für Mitarbeitende und Angehörige heißt das:

  • Zuhören und ernst nehmen, was die Person will.
  • Mitdenken statt steuern.
  • Flexibel bleiben, auch wenn es nicht in Routinen passt.
  • Unterstützung heißt: „mit“ dem Assistenznehmenden agieren, statt „für“ ihn oder sie „im Auftrag von“ zu handeln.

👉 Persönliche Assistenz ist damit nicht einfach „Pflege plus“, sondern eine andere Haltung – und nur dann wirklich emanzipativ, wenn wir Ableismus im Alltag aktiv erkennen und gemeinsam überwinden.

Weiterführende Hinweise

  • Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner: De-Institutionalisierung im Lichte von Selbstbestimmung und Selbstüberlassung – Absichten, Einsichten und Aussichten entlang der Sozialen FragePDF [29.09.25]
  • Beiträge zu Persönlicher Assistenz auf simorgh.de → Kategorie „Persönliche Assistenz“

Der im SGB IX formulierte Rahmen ergibt durchaus Sinn, und sollte nicht in Bruchstücken gedacht werden:

Sozialgesetzbuch (SGB IX)
Neuntes Buch
Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen
§ 78 SGB IX Assistenzleistungen
https://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbix/78.html

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