Vermenschlichte Vertierlichung: Gedanken zum Stofftierphänomen
Im: Gruppe Messel Reader, Jahrgang 4, Heft 5, Tierobjektifizierung und Fiktion (1): https://farangis.de/reader/e-reader_gruppe_messel_2022_5.pdf bzw. https://d-nb.info/1261136810/34
Warum gibt es eigentlich so viele Stofftierfiguren oder warum genießen solche Tierfiguren eine gewisse Art der Popularität? Sind Stofftiere im Prinzip eigentlich bloß ganz neutrale Stofffiguren mit optisch niedlichen Tierattributen oder sind sie tatsächlich irgendwie Abbildungen von nichtmenschlichen Tieren? Wenn sie vertierlichte, aber eigentlich neutrale Stofffiguren sind, dann scheinen die tierlichen Züge immerhin stark unverzichtbar. Warum? Was stellen diese tierlichen Attribute bei solchen Figuren dar?
Oder aber wenn man es so sieht, dass Stofftiere eindeutig nichtmenschliche Tiere (in Folgenden abgekürzt mit ’nm‘) darstellen, dann könnte man sich doch fragen, warum hegen wir ein tendenziell abwertendes Verhältnis nm-Tieren gegenüber, ohne diese Einstellungen aber in unserer Haltung gegenüber dem Kindlich-Emotionalen eindeutig vor uns selbst zuzugeben? Warum verniedlichen wir solche Abbilder von Tieren als was knuddeliges und woher kommt dabei die sinnliche Komponente, die wir in diesen optisch vertierlichten Figuren als plastische Berührobjekte sehen?
Vielleicht ist es ja gerade der Umstand, dass diese Figuren von uns geschaffene Plüschstoff-Objekte sind und die reellen Tiere echte und von uns vollständig autonome Existenzen sind, dass wir die Stofftiere mögen, weil nm-Tiere in dieser sonderbaren Abbildfunktion für uns ganz und gar unbedrohlich bleiben. Es sind Figuren und keine Wesen. Mit echten Wesen hätten wir eine existenzielle Auseinandersetzung.
Abbilder zeigen das, was wir in etwas sehen oder erkennen möchten oder zu sehen oder zu erkennen glauben. Vielleicht interessieren uns die tierlichen Vorlagen dieser Abbilder nicht sonderlich im positiven, weil sie reell doch so anders sind als wir. Sie haben, als andere biologische Tiere, anders evolutioniert als wir, und es ist uns lieber, alle irgendwie möglichen Erklärungen über die Identität nm-Tiere den Fachexperten zu überlassen, statt selbst in den komplexen kommunikativen Möglichkeiten unserer individuellen Mensch-Tier Interaktion herum zu forschen.
Man könnte sagen, wir haben es geschafft unser Verhältnis zu nm-Tieren abzuklären, indem wir der Beziehung zu ihnen einerseits eine im weitesten Sinne emotionale Ecke hineinräumen, beginnend in der Form unseres meist als Kind gelebten Verhältnisses zu figürlichen oder abstrahierten Abbildungen von ihnen, und im gleichen Atemzug initiiert unser Menschsein sich (in Abgrenzung zum „Rest der Natur“) darin, die Realität einer Mensch-Tier Begegnung auf eine Negierung ihres unabhängigen Lebenswertes zu reduzieren, indem wir sie als reale Existenzen allein in zu uns bedingten Verhältnissen, als Lebensmittelprodukte, Forschungsobjekte, „biologische Organismen von verschiedener Komplexität“, Totems oder Symbole und vielleicht auch als Seelentröster, als „biologische Sekundärwesen“ zum Menschen, etc., betrachten.
Sowohl in unseren destruktiven als auch in unseren konstruktiven Betrachtungen scheint uns aber das, was die Andersartigkeit der von uns designierten und identifizierten „Tiere“ ausmacht, zu faszinieren. Eine Qualität einer Andersartigkeit, die wir teilweise verachten und lieben, mit der wir aber, über die ganze Ebene gesehen, so wenig integrativ in Hinsicht auf die Frage ethischer Berücksichtigung umgehen können oder wollen, dass wir sie in unseren gedanklichen Begriffen reduziert halten müssen, um nicht in Verwirrungen zu geraten.
Wahrscheinlich ahnen wir, dass die Position, in der nm-Tiere in unseren Kulturen (in den Denkgebäuden und Handlungsebenen unseres Menschseins) eingebunden sind, vielleicht gar doch auf einer ideologischen Zwangsmäßigkeit von Gewaltausübung (in ihrem grundlegendsten Sinne) „dem Naturhaften“ gegenüber basiert. Und dass dieser zwanghafte Charakter unserer Beziehung zu nm-Tieren unsere Bereitschaft zum Verständnis spezifisch tierlicher Verschiedenartigkeit (und ihres Diversitätsverhältnisses zu uns) ausschließt; und mit der fehlenden Auseinandersetzung schließt sich folglich auch die Möglichkeit einer ethischen Integration in unsere Denkfelder aus.
Ich will jetzt nicht alles in Verbindung zum Stofftier- und Tierfiguren-„Phänomen“ setzen, sondern sehe hier einen Ausdruck eines emotionalen Verhältnisses zu den anderen „biologischen“ Tieren, und über die Betrachtung eines emotionalen Verhältnisses eröffnen sich schließlich im weiteren Zusammenhang zumindest einige Fragen.
Da das Mensch-Tier-Verhältnis faktisch nicht überwiegend auf interaktiver Freiwilligkeit beruht und sich der reelle Existenzwert der nm-Tiere wahrscheinlich durch den ethischen Ausschluss für uns entziehen muss, ergibt sich vielleicht aber eine Faszination dessen, was sich uns gerade dadurch verwehrt: Eine Faszination des wenn auch willkürlich Unumfassten.
Ich denke, dass wir uns durch so eine Faszination, die sich sowohl positiv als auch negativ ausdrücken kann, herausgefordert fühlen, nm-Tiere in dieser unbegriffenen Position in unsere ästhetischen Systeme einzuordnen und somit nach ihnen zu greifen.
Unter einem reellen Existenzwert verstehe ich die innere Unabhängigkeit der nm-Tiere zum Menschen, die durch ihre Vernetzung eigener, von uns getrennter intra-nm-tierlicher und durch ihre selbstgelebten environmentalen Kontexte gegeben ist; sie sind uns einerseits so ähnlich und andererseits aber doch so anders als wir, in den Kontexten die sie auf diesem Planeten bilden.
Die echten nm-Tiere und wie wir sie gerne sehen
In Tierdokumentationen, zum Beispiel, werden vorwiegend das Muttertier-Junges-Verhältnis, das Paarungs-, das Jagd- und das Futtersuchverhalten von Tieren gezeigt. Was machen nm-Tiere, außer den Verhaltensweisen auf die wir unter dem Gesichtspunkt der Hervorhebung des vermeintlichen „Instinktverhaltens“ bei Tieren unser Augenmerk richten. Nichts was für sie (selbst) von Relevanz wäre?
Aus unserer eingeschränkten Sicht über nm-Tiere kann man zur Annahme kommen, dass jeder irgendwie „individualisierte“ Zug der einem nm-Tier oder einer Tierfigur zugeschrieben werden kann, einem Anthropomorphismus, also einer Vermenschlichung, entspringt.
Ich glaube, in Hinsicht auf das Stofftier- oder jedes andere Tierfigurenphänomen, dass eine gewisse Art „individualisierter“ Attributisierungen dies teilweise auch tatsächlich und sehr eindeutig sind. Es sind teilweise und insofern Anthropomorphismen, nicht weil Tiere selbst bar jeder Individualität sind, sondern bei den Tierdarstellungen, die mit Hervorhebungen von Individualitätsmerkmalen arbeiten, bleiben es zum einen primär vermenschlichende optische „Individualisierer“, die stark im Rahmen über Vorstellungen dessen liegen, was für uns als „Individualitätsindikator“ in einer menschlichen Sichtweise über individualisierende Charakteristiken sichtbar ist, d.h. was als Ausdruck bestimmter Eigenschaften gelten kann: ernst, dümmlich, naiv, traurig … drückt sich aus als Knopfaugen, dicke Füße, großen Nase … in der Art einer von uns entworfenen Figurensprache. Aber abgesehen von unseren Figurensprachen ist andererseits, zumindest rein das Existenzielle betreffend, klar, dass nm-Tierindividualität an sich, wenn auch in einer wahrscheinlich sehr unterschiedlichen Form, besteht.
Vielleicht wollen wir den Individualitätsausdruck von Tieren aber, der wohl anders verläuft (die uns fremdartige Tierindividualität), auch durch unsere gewählten Schwerpunkte in der Visualität ersetzen, und die Überschneidungen, die sich in den tierlich-menschlichen Abbildungen ergeben – die bei den Stofftieren und Cartoon Figuren zu finden sind – üben mitunter die spezielle Faszination aus, weil sie wiederum ins für uns Unbegrenzte und Unbegreifbare laufen oder ausufern können ( – in die unbeschriebenen Seiten einer zukünftigen realistischen nicht-anthropozentrischen sondern tierlichkeitsachtenen Zukunft
beispielsweise?)
Hingegen die dokumentierenden Abbilder dessen, was wir als Lebensrealität der Tiere bezeichnen, d.h. z.B. die Tierdokumentationen, werfen in erster Linie Licht auf Beobachtungen die unter rein biologistischen Gesichtspunkten angestellt werden, und hüten sich dadurch in zweiter Linie bewusst vor „vermenschlichenden“ Attributisierungen, zumindest was die als vermeintlich entscheidend menschlichen Attribute anbetreffend ist. Die Akzentsetzung, wie z.B. auf das Paarungs- und Fressverhalten bei Tieren, machen allerdings immer wieder eine Einstellung klar, in der weitere und für uns unauffälligere Tätigkeiten von nm-Tieren gar nicht sichtbar und bedeutungslos sein sollen. Uns scheinen also (aus einem Mangel einer neuerschlossenen perspektivischen Breite) nur wenige Verhaltensweisen von Tieren greifbar zu sein, und so schließen wir darauf zurück, dass das, was für uns in unserem Interesse an nm-Tieren relevant ist, auch das ist, was für nm-Tiere relevant sei.
Weniger Voyeurismus seitens der Menschen in der Mensch-Tier-Begegnung bitte!
Biologische Highlights wie sie in Tierdokumenationsfilmen zu sehen sind, fallen bei einer individuierten Mensch-Tier Begegnung weg. Solche Begegnungen müssten anders kontrastiert und entschlüsselt, und das gegenseitige Verhalten anders übersetzt werden. Doch eventuell fehlen uns hierzu einige kommunikativen Nuancierungen. Zumindest müsste vorerst ein biologistisch ausgerichteter Bezugsrahmen wegfallen.
Vielleicht verdeutlicht sich in dem psychologisch komplexen Phänomen der Verniedlichung von Tieren unsere Distanz zu ihnen am stärksten. Dass wir sie allein als Abbilder in ihrer Erscheinung akzeptieren wollen, verdeutlicht, dass unsere primäre Beziehung zu ihnen eigentlich eine sekundäre ist: wir interessieren uns nicht auf einer Ebene der Einmaligkeit, die sich erst über eine individuelle Qualität in der Mensch-Tier Begegnung ausdrücken kann, sondern wir übernehmen die Beurteilungen und Herangehensweisen anderer oder der Allgemeinheit, usw. Das Verhältnis zu nichtmenschlichen Tieren in ihrer Identität, ist ethisch von unserer Seite her tatsächlich so entindividualisiert, wie die reellen Situationen in die wir diese „anderen Tiere“ befördern.
Aber trotzdem, was mögen wir gerade an Stofftieren oder an Tiercharakteren im Bereich von Cartoons und Kinderbuchillustrationen?
Mir fällt allgemein bei vielen tierlichen Figuren auf, dass sie oft betont „vermenschlichte“ Züge tragen. Ist es, dass etwas tierlich anmutendes, einer Figur einen „neutralisierenderen“ (oder in anderer Weise „besonderen“) Anstrich geben kann, als eine ausschließlich anthropomorph anmutende Figur das könnte? Und liegt das am tatsächlich „tier-charakteristischen“? Tragen „menschliche“ Figuren hingegen wiederum Züge, die wir mit menschlichen Eigenschaften, Charakterzügen und Klischees assoziieren, von denen die tierlicheren Formen frei sind, weil sie etwas anderes bieten, mit dem wir uns eventuell teilweise lieber assoziieren? Kommt daher die Vermischung beider Attribute („menschlich“, „tierlich“)? Was verkörpern Tierfiguren für uns?
Auch ist interessant, dass während Stofftiere eher mit „individuelleren“, charakteristischen, aber auf jeden Fall vermenschlichten, anthropomorphen Zügen auftreten, schematische Tierabbildungen, die sich eindeutiger auf nm-Tiere beziehen sollen und nicht den Knuddeltier-Status für menschliche Niedlichkeitsbedürfnisse genießen, dass Tierfiguren oder Abbildungen wie Piktogramme, die sich figurativ „faktisch“ auf nichtmenschliche Tiere selbst beziehen sollen, wiederum in ihrer Darstellung mit optischen
Entindividualisierungsformen arbeiten.
Oder ist das Knuddeltier-Phänomen gar eine Ableitung oder Fortführung des ausbeuterischen Aspekts? Dass wir die schönen Seiten, die uns genehmen, für uns positiven Seiten von nm-Tieren, zu unseren Zwecken – welchen auch immer – einsetzen. Dass wir die Distanz zu den nm-Tieren in so einer komplizierten psychologischen Form einzementiert haben.
Ich hatte einmal eine Idee, dass alle Firmen die Tierfiguren und -abbildungen in irgendeiner Form verwenden, den Tieren, die sie in Abbildungen für ihre Werbung, etc. verwenden, über die finanzielle Unterstützung von Tierrechts-Organisationen oder Tier-Sanktuarien, usw. helfen sollten. Wäre das nicht fairer?
Aber man könnte sagen, dass wir nm-Tiere durch unsere Sichtweise – ob als Knuddeltiere oder als Werbesymbol – erst veredeln … – doch ist das wirklich so? Wenn wir nun statt den Tieren als Knuddeltiere oder Werbebilder, andere Figuren nehmen würden, Menschen, Blumen, Kristalle, Sterne oder Häuser, usw., dann würde das Bedürfnis, ich bin mir da ganz sicher, nach Tierabbildungen, wieder irgendwo auftreten.
Vielleicht versuchen wir ja unsere gestörte Beziehung zu nm-Tieren über unsere Abbildungsweisen von ihnen zu kompensieren, und machen uns dadurch vor, dass wir mit der übergeordneten Identität der „nm-Tiere“ keine Probleme haben, dass allerdings die echten Tiere gar keine richtigen knuffigen Tiere wie Biene Maja, Micky Maus und die Tigerente sind. Dass wir die tierische Seite dieser Figuren respektieren, aber die echten Tiere sind nur biologische „Evolutionismen“ oder schließlich Apparate (Descartes).
Aber, kann man denn überhaupt sagen, dass die tierliche Seite allein durch die Gestalt gegeben ist? Wohl schon, denn um Mensch zu sein reicht ja auch die Gestalt – innerlich und äußerlich – oder? Oder befindet sich allein der Mensch auf irgendeiner Metaebene? Wenn ja, vielleicht kann man genauso davon ausgehen, dass das Tiersein und damit auch das Tierrecht auch eine Metaebene bildet.
Wir geben der Tiererscheinung nur dann einen Sinn, wenn sie durch uns fassbar ist. Tiere sind für uns aber nicht in der letzten Konsequenz fassbar. Ihre Anders- und Verschiedenartigkeit entzieht sich unseren gängigen Wertvorstellungen. Selbst Tierverteidiger*innen machen keinen Hehl aus ihrer Neigung, Tiere als Piktogramme oder niedliche Mitgefühl hervorrufende Fauna oder als ewige Tier-Opfer zu vermassen und damit zu entindividualisieren – obwohl diese Bewegung von Liberation, von Befreiung spricht. Ein hohes Ideal!
Aber wie wäre das, nichtmenschliche Tiere zu sehen als ein „Du“ und als ein „ich“ dem man begegnet und das man respektiert, auch wenn man von so einem „Du“ oder so einem „ich“ im Prinzip wenig Ahnung hat oder diese zumindest nicht einem kollektivistischen Verständnis über Tierlichkeit zuführen kann, wodurch die eigene Ahnung, das eigene Wissen wenig vermittelbar bleibt unter Menschen … .
Ich sehe keinen Sinn darin, meine Sicht auf vorgefertigte Bilder zu reduzieren – weder durch Biologismen, Anthropomorphismen, noch durch konzeptuelle Metaebenen, die ausschließlich das eigene Denken als ein Denken erfassen können – solange damit einem seienden Individuum/Subjekt sein Wert bzw. seine von menschlichem Chauvinismus und menschlicher Enttierlichung und Objektifizierung unabhängige Bedeutsamkeit (als einem solchen) entzogen wird.
(08.06.2022)