Gründe zur radikalen Abgrenzug

Auch in: Antibiologistic Animal Sociology / antibiologistische Tiersoziologie: Textliche Bausteine I, Gründe zur radikalen Abgrenzung, E-Reader: Gruppe Messel, Jahrgang 4, Nr. 8, 2022, S. 4 > https://farangis.de/reader/e-reader_gruppe_messel_2022_8.pdf

Einwürfe

Ein Katalog an Gründen, warum aus radikaler Tierrechtssicht eine konstruktive Abgrenzung gegenüber dem Mainstream der Tierrechts- und der Tierbefreiungsbewegung nötig ist und eine inhaltliche Ausdifferenzierung weiterhin unumgänglich sein wird. Der Status auf dem sich „der Mainstream“ bewegt ist konservativ und ihm fehlt es an „eigener Architektur“. Die Katastrophen Faunazid und Ökozid sind am laufen.

Gründe:

1. Fehlende Priorisierung in der ethischen Argumentation aufgrund eines Mangels an Distanzierung zu den tradierten Denkmodellen.

Manche meinen sie könnten ernsthaft eingefleischte Fleischfetischist*innen von einer anderen Lebensweise und einer damit einhergehenden anderen Haltung der nichtmenschlich-tierlichen Mitwelt gegenüber überzeugen, indem sie sagen: „Das mit den ‚Rechten‘ an und für sich, und genauer das mit den Tierrechten, ist so eine Sache. Die können wir ja diskutieren, aber ich überzeuge die von manchen von uns liebevoll als “Fleischi” bezeichneten Mitbürger, indem ich ihnen sage, wie wichtig so eine veränderte Lebensweise, die Tiere ethisch mitberücksichtigt, vor allem für die Umwelt und für unsere menschliche Zukunft in Hinsicht auf das Ressourcenmanagement ist … .“ > https://simorgh.de/about/von-fleischglaeubigen-und-relativierern/

2. Die Unsichtbarkeit des Tierseins wird fortgesetzt, weil das Vokabular fehlt, das außerhalb der alten Paradigmen logischerweise noch nicht existiert, aber geschaffen und formuliert werden kann.

Wenn wir akzeptieren, dass die Problematiken die Tiere erfahren, erst existent sind in dem Moment in dem Tiere sich bereits an Orten befinden, in die Menschen sie über die Zeit hinweg immer wieder hineinkatapultiert haben, dann sehen wir die Tierlichkeit als kaum mehr als „abwesende Referenten“ in dem großen bestimmenden anthropozänen Raum > https://simorgh.de/about/tierrechtsethik-fleisch-und-gesellschaftskritik/

3. Tierobjektifizierende Doppelstandards. Trennung zwischen eigenem Anspruch auf „ethische Versehrtheit“ und beobachteter ethischer Versehrtheit bei tierlichen Subjekten und -Gruppen, mit der einhergehenden Beurteilung als vom Grundsatz her vergleichsweise weniger relevant.

Fragt Euch mal, wieso Ihr eigentlich solche Schwierigkeiten habt nichtmenschliche Tiere und den gesamten nichtmenschlichen Raum im Sinne von erstmal mindestens deren ethischem Recht zu begreifen … und wo ein ethisches Recht ist, ist folglich auch ein politisch-juristisches Recht umsetzbar. Wenn Ihr Schutz und Reformen einfordern könnt, warum meint ihr Recht wäre nur Euer Exklusivrecht > https://simorgh.de/about/rechte-auf-tierrechte-haben/

4. Keine geforderte systematische Herauslösung von Tieren, die in das System hineingeboren werden. Tiere werden quasi als Negativexsistenzen, mehr oder weniger als Akzidenzen genau dem Zweck untergeordnet, denen der Speziesismus für sie angedacht hat. Man vermittelt, dass ihnen keine faktische existenzielle Rekompensation geboten werden muss, was von einem Mangel an Bewusstsein für die Tragweite der Betroffenheit zeugt.

Die Mehrheit von ‚fellow activists‘ in der deutschsprachigen Tierrechts- und/oder Tierbefreiungsszene graben sich eine mentale Grube völliger Agrarfokussiertheit, in denen alles Platz finden soll, was Tierlichkeit von sog. Farmtieren/“Nutzvieh“ anbetrifft, statt anstelle dessen Räume ökosozialer Schnittmengen zu erkennen, zu benennen und somit darauf deutlich hinzuweisen > Tierrechte, Spezies-Subjektivismus, Protest > https://simorgh.de/about/tierrechte-spezies-subjektivismus-protest/

5. Kein Bild, kein Begriff, keine Anerkennung der Animales Sapiens.

Mangelnde Wertschätzung auf einer subjektiven Ebene als Herangehensweise drückt in der Regel ein Festhalten am alten spezies-zentrierten Paternalismus aus > Netze des Homo sapiens mit denen anderer Animales sapiens > https://simorgh.de/about/animales-sapiens/

6. Ursachenblindkeit gegenüber kulturgeschichtlichen Fragen.

Speziesismus / Tierobjektifizierung, wie sie in ‚Haltungs-‚ und Tötungseinrichtungen stattfinden, sind nicht vom Himmel gefallen und sie sind auch nicht als Zwangsläufigkeit menschlicher Geschichte rückwirkend abzunicken – wer dies tut, perpetuiert schlichtweg ethische Fehlschlüsse > Prämisse Tierobjektifizierer:in > https://simorgh.de/about/praemisse-tierobjektifiziererin/

7. Mainstream-Tierrechtler*innen reden meist über sekundäre Rechte statt bei den primären Rechten weiter nachzuhaken.

Tierrechte: Fundamentale und partikularistische Rechte > https://simorgh.de/about/tierrechte-fundamentale-und-partikularistische-rechte/

8. Technokratisierung von Ethik-Begriffen, die sie nutzlos für Tierrechte machen.

Umweltschutz, wie er heute mehrheitlich praktiziert und gedacht wird, bezieht Nichtmenschen lediglich in eine technokratisch angefertigte Kosten-Nutzen Rechnung bezogen auf menschlich-kollektives Eigeninteresse mit ein. Die meisten Tierrechtler*innen folgen den Argumentationssträngen der Umweltbewegungen und äußern sich wenig zu Konflikten, die zwischen den Interessen von Umweltschützenden und tierlichen Subjekten und Gruppen und deren Verteidiger*innen bestehen > Wie erklärt sich die Vermeidung konsequent tierethischer Fragen in großen Teilen der heutigen Umweltbewegung? Warum werden die erlebten und bezeugten Geschichten von tierlichen Subjekten nicht in der Art mit in die Umweltthematik und umweltethische Fragen mit einbezogen, so dass damit eine unabdingbare Verknüpfung von Tierrechtsfragen mit umwelt- und gesellschaftspolitischen Fragen vollzogen würde? > Tierrechte und Umweltschutz > https://simorgh.de/about/tierrechte-und-umweltschutz-2/ (in dem Zusammenhang stehen damit allgemein die segregative Herangehensweisen im Umweltschutz im Bezug auf Nichtmenschen: https://www.simorgh.de/objects/segregative-approaches/)

9. Themen werden inneren Debatten geopfert.

Scheingefechte in Diskussionen, die von den eigentlichen Konfliktpunkten ablenken und die Problematiken an falsche Stellen führen > Kulturkonflikte während der Faunazid läuft > https://simorgh.de/about/kulturkonflikte-waehrend-der-faunazid-laeuft/

10. Die Unfähigkeit gezielt mit dem auf Nichtmenschen angewendeten Biologismus zu brechen > keine Bereitschaft sich in Richtung Alternativen wie einer antidiskriminatorisch tiersoziologischen Perspektivität zu öffnen > https://simorgh.de/about/antidiskriminatorische-tiersoziologie-1/

Der Grundpfeiler der Argumentationen, die sich auf Leidensfähigkeit, Sinnesempfindung und reduktiven, von zoologisch-/biologisch geleiteten Vorstellungen über Tiersein begründen, schaffen es genau nicht, aus den „klassischen“ hegemonial-definitorischen Denkweisen über „die Tierwelt“ herauszutreten. Alte menschlich-chauvinistische Haltungen erhalten lediglich einen neuen Anstrich, der sich durch ein verstärktes Interesse und eine Faszination an Tierlichkeit kennzeichnet, ohne dabei aber eine Dekonstruktion ursächlicher problemschaffender Paradigmen einzufordern. Die Forderungen nach „Mitgefühl“, „Mitfühlsamkeit“, „Empathie“ und „Altruismus“ werden der Frage nach Recht und den Fragen über Unrecht nicht gerecht., sondern treten eher philanthropisch und exklusiv auf. Und allein das zunehmend gesteigerte Augenmerk auf „die Tierfrage“ ersetzt die nötige Klärung der Frage dessen, wie Unrecht zustande gekommen ist, leider eher nicht von selbst.

11. Die simplen Lösungen, die ausblenden, warum wir an der Stelle der Geschichte stehen, an der wir stehen. „Einfach“ vereinfacht nicht unbedingt die tatsächlich notwendigen Lösungsansätze, die in Tierrechtsfragen eben nicht weniger komplex sind als in Menschenrechts- oder Umweltfragen.

Gleichungen zwischen Umweltzerstörung und Umweltschäden mit Menschenrechtsverletzungen und gesellschaftlich induziertem menschlichem- und tierlichem Leid und biopolitisch forcierter tierlicher Existenz sind problembehaftet. Sie werden normalisierend angewendet, ohne Zusammenhänge ausreichend zu kontextualisieren und ohne der Schwere der einzelnen Problematiken gerecht zu werden.

Ursachen adressieren: Tierechte, Menschenrechte, Umweltethik > https://simorgh.de/about/ursachen-adressieren-tierechte-menschenrechte-umweltethik/